Fettleibige Kinder: Was tun?

Unter den 10 bis 14 Jährigen sind davon über acht Prozent adipös, das heißt, diese Jungen und Mädchen sind bereits so schwer, dass sie nachweislich ihrer Gesundheit schaden. Im Wesentlichen wird diese rasante Gewichtszunahme auf eine übermäßige und ungesunde Ernährungsweise kombiniert mit Bewegungsmangel zurückgeführt. Doch auch psychosoziale und andere Faktoren können zu Fettleibigkeit führen. 

Inhaltsverzeichnis

Körperliche und psyische Veränderungen

Auch wenn Deutschland zu den Ländern der Erde gehört, in denen mittlerweile die meisten dicken Menschen leben, so fühlen sich auch hier Dicke keineswegs wohl oder gar akzeptiert. Wird aus dem kleinen, süßen pummeligen Kind ein junger unförmiger Mensch, dann ist er häufig Hänseleien oder sogar systematischem Mobbing ausgesetzt. Nicht selten gehen die übergewichtigen pubertierenden Jungen und Mädchen dann auf Abstand zu den Gleichaltrigen und meiden alle Situationen, in denen ihr körperliches Problem offenkundig wird. So bewegen sich die dicken Heranwachsenden mit der Zeit immer weniger und isolieren sich immer mehr. Leid und Frust kompensieren sie durch vermehrt unkontrolliertes Essen.

Ein Teufelskreislauf, aus dem es den Jugendlichen kaum selbst gelingen kann, sich zu befreien. Die folgenden beiden Fallbeispiele aus meiner Praxis veranschaulichen dies.

Fallbeispiel Übergewicht 1: Dorothea

Dorothea, 15 Jahre alt, ist ein stark übergewichtiges Mädchen. Dorothea hat zwei jüngere Geschwister, die körperlich normal entwickelt sind. Und auch ihre Eltern sind eher schlank.

„Aber Doro“, so die Mutter, „ ist richtig fett. Begonnen hat alles“, so ihre Beobachtung, „als sie zehn war. Sie ging richtig aus dem Leim, fraß alles in sich hinein.“ Nimmt man Fotos zur Hand, dann zeigen sie Dorothea als ein schlankes, bewegungs- und kontaktfreudiges Kind, das offensichtlich vielseitig interessiert war. Nun scheint sie das komplette Gegenteil zu sein. Sie geht nicht mehr – aber sie lässt sich gehen, was das Essen betrifft. Sie stopft alles wahllos in sich hinein. Dorothea hat sich längst aufgegeben.

Alles, was auch nur im Entferntesten mit sportlicher Betätigung zu tun hat, unterlässt sie. Vom Sportunterricht hat sie sich so gut wie abgemeldet: Mal fühlt sie sich nicht wohl, dann hat sie „ihre Tage“, mal hat sie sich „den Knöchel verstaucht“, weil sie umgeknickt ist, dann hat sie ihr „Turnzeug vergessen“. Dorothea fällt immer etwas ein, sich vor körperlicher Betätigung zu drücken. Auch Familienausflüge – seien es Wanderungen oder Fahrradtouren – macht sie schon längst nicht mehr mit. Macht die Familie im Süden Urlaub, bleibt Dorothea „am Pool liegen und hat keine Scham, ihren fetten Bauch in die Sonne zu halten”, erzählt der Vater empört. Dorothea trägt dann Bikinis in Übergröße, aus denen alles herausquillt. Ansonsten lässt sie sich überallhin fahren. Jeder Schritt zu Fuß ist ihr zuwider oder ist ihr – angesichts ihrer Körperfülle – eine wirkliche Qual. „Aber mir ist es völlig egal“, sagt Dorothea über sich, „wenn ich fünf Kilo abnehme, dann sieht das doch keiner. Also bleibe ich so!” Dorothea zog sich mehr und mehr zurück, hatte zu nichts mehr Lust, keine Freude am Leben. Dorothea hat sich auf Anraten eines Arztes bei einem Training für übergewichtige Heranwachsende angemeldet, weil sie zunehmend „depressive Züge“ entwickelte, so die Mutter.

Fallbeispiel Übergewicht 2: Susanne

In dieser Gruppe lernte Dorothea die gleichaltrige Susanne kennen. Susanne ist ein Einzelkind. Ihre Eltern sind auch übergewichtig. Das trifft ebenso für die Großeltern väterlicherseits zu. „Bis zum siebten Lebensjahr war Susanne körperlich völlig normal“, erinnern sich die Eltern. „Da gab es keine Auffälligkeit. Dann ging sie plötzlich richtig in die Breite. In einem halben Jahr ist sie wie eine Tonne geworden. Man konnte richtig zusehen, wie sie dicker und dicker wurde. Reglementierungen beim Essen halfen überhaupt nicht.“

Susanne ging, wenn man ihr zu Hause eine Grenze setzte, zur Oma, die viel Verständnis für ihre Enkelin hatte, war sie doch selber seit dem zwölften Lebensjahr eher übergewichtig. Zudem hatte Susanne ein Süßigkeitsdepot mit großelterlicher Unterstützung angelegt, aus dem sie sich fleißig bediente. Machte man anfangs über „das kleine Pummelchen“ noch seine „kleinen Späßchen“, so änderte sich das, als Susanne in die Pubertät kam. Auch sie selbst fand ihren Körper „schrecklich“. Um dem Ausdruck zu geben, kleidete sie sich in weite schwarze Gewänder, die ihren Körperumfang zwar verhüllten, aber die Unförmigkeit doch ahnen ließen. Um die einst beliebte Susanne wurde es zunehmend stiller; genauer: Sie isolierte sich selbst. Freundinnen zogen sich von ihr zurück, Freunde rümpften die Nase, wenn sie in Susannes Nähe standen. „Du riechst“, war noch der netteste Kommentar. Gemeine, unflätige, herabsetzende Kommentare häuften sich, die Susanne in Lethargie verfallen ließen. Sie wusch sich selten, sodass ihre Körperausdünstungen nicht mehr zu ignorieren waren. Den Eltern war das gemeinsame Essen schon ein „richtiger Gräuel“. „Wenn du dich nicht wäschst, isst du nicht mehr mit uns“, ermahnte vor allem der Vater. Doch Susanne ignorierte die Mahnungen, aß vielmehr alleine, stopfte dann das Essen ungehemmt und zügellos in sich hinein, um sich dann mit Schokolade und Pralinen „zu belohnen“. Als sie Suizidgedanken äußerte, nahmen die Eltern Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe auf, die Susanne nun seit einiger Zeit kontinuierlich besucht.

Mögliche Ursachen für Fettleibigkeit

In den beiden Fallbeispielen werden bereits einige Ursachen für Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen genannt:

  • Psychologische Ursachen: Im ersten Fallbeispiel heißt es: „(Sie) fraß alles in sich hinein“. Dorothea war also scheinbar nicht in der Lage, Frustrationen und andere negative Gefühle produktiv zu verarbeitet. Stattdessen kompensierte sie ihre unguten Gefühle und Erlebnisse durch ungebremste Nahrungsaufnahme. Damit richten die Jugendlichen ihre Aggressionen aber gegen sich selbst. Sie machen sich unansehnlich und bestrafen sich selbst. Eine Selbsterfüllende Prophezeiung stellt sich ein: Keiner mag mich ob meiner Leibesfülle und weil mich keiner mag, fresse ich – so lange, bis ich platze.
  • Erbliche Faktoren: Diese spielen in Susannes Fall offensichtlich eine Rolle, da sowohl die Eltern als auch die Großeltern bereits übergewichtig sind. U.a. aus der Zwillingsforschung weiß man, dass ein großer Teil der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen bereits übergewichtige Eltern haben. Adipositas tritt also familiär gehäuft auf. Genetische Faktoren sind also zweifelsohne wichtig. Doch tatsächlich vererbt, so die übereinstimmende Auffassung, wird Adipositas nicht. Vererbt wird vielmehr die Empfänglichkeit, adipositär zu werden.
  • Überernährung und falsche Ernährung: Auch das „vererbt“ sich leider oft, wie das mit Hilfe der Großeltern angelegte Süßigkeitendepot von Susanne zeigt. Allerdings: Nicht allein die zu vielen Kalorien machen schon dick. Begünstigt wird die Fetteinlagerung im Körper vor allem durch zu viele zuckerhaltige Nahrungsmittel und zu viel Fett (vor allem ungesättigte Fettsäuren). Hinzu kommen weitere Essgewohnheiten, die sich ungünstig auf das Körpergewicht auswirken können: Z.B. keine geregelten Mahlzeiten, das Kind bekommt Geld zur Selbstversorgung oder auch die Meinung, dass der Teller unbedingt leer gegessen werden muss und das Kind dadurch kein Gefühl für eine natürliche Sättigung entwickeln kann.
  • Bewegungsmangel: Zu wenig Bewegung kann wie in den beiden Fallbeispielen natürlich eine Folge der Fettleibigkeit sein. Häufig ist es aber umgekehrt. Das heißt, Jugendliche bewegen sich zu wenig, treiben zu selten Sport und verbringen stattdessen ihre Freizeit vermehrt mit Chips, Cola und Schokolade vor dem Computer oder dem Fernseher. Der Mangel an Bewegung kombiniert mit einem falschen Ernährungsverhalten führt dann zum Übergewicht. Bereits 30 Prozent der Vorschulkinder, zeigen Symptome von Haltungsschwächen und Bewegungsmangelerkrankungen.
  • Sonstige Ursachen: Früh geprägte Geschmacksgewohnheiten (zuckerhaltige Getränke, Breis etc.), Nahrungsmittel mit Geschmacksverstärker, die gleichzeitig appetitanregend sind, Beeinflussung durch Werbung etc. – all dies können weitere Ursachen sein, die das Ernährungsverhalten Ihres Kindes negativ beeinflussen.

Folgen des frühen Übergewichts

Adipositas – so der medizinisch-psychologische Fachausdruck – ist ein weit verbreitetes Ernährungsproblem, das hinter der Magersucht (Anorexia nervosa) und der Bulimie (Heißhunger und Erbrechen) in der öffentlichen und publizistischen Aufmerksamen lange unbemerkt war. Nimmt man es genauer, kann Adipositas nicht nur mit erheblichem Übergewicht gleichgesetzt werden, wie ich es eben getan habe: Adipositas wird, so die Psychologin Warschburger, „durch einen übermäßigen Anteil der Fettmasse am Körpergewicht mit deutlicher Beeinflussung der Gesundheit definiert.“

Ein erwachsener Mensch gilt laut WHO-Definition ab einem BMI (Bodymaßindex) von 25 als übergewichtig und ab 30 als adipös. Entscheidend für das gesundheitliche Risiko ist aber auch, wo sich das Fett hauptsächlich im Körper einlagert. Eine übermäßige Fettansammlung im Bauchraum (erhöhtes Risiko: Frauen ab einem Bauchumfang von ca. 80 cm, bedenklich ab 88 cm, Männer ab ca. 94 cm, bedenklich ab 104 cm) ist wesentlich gefährlicher als Fett an den Hüften oder an den Oberschenkeln. Für Kinder und Jugendliche gelten diese BMI-Tabellen allerdings nicht, weil sie noch im Wachstum sind. Hier finden Sie im Internet entsprechende Kinder-BMI-Rechner, in die Sie die Werte Ihres Kindes, abhängig von Alter und Geschlecht, eintragen können und dann direkt errechnet bekommen, z. B. auf der Seite http://www.bzga-kinderuebergewicht.de/adipo_mtp/bmi/bmi-rechner/rechner.php.