Geschichten erzählen: Kleiner Erzählkurs für Eltern

Es gibt für Kinder kaum etwas Schöneres, als abends im Bett noch einer Geschichte zu lauschen. Werden Sie zum „besten Geschichtenerzähler der Welt“ oder holen Sie sich hier Ideen für altersgerechte Fantasiegeschichten. 

Inhaltsverzeichnis

Geschichten erzählen

Ob Vorlesen oder Erzählen, als Märchen oder aus einem Kinderbuch: Kinder brauchen Geschichten. Damit fördern  Sie den Wortschatz und die sprachlichen Ausdrucksfähigkeiten Ihres Kindes. Geschichten helfen ihm, Werte zu entwickeln sowie zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Und Sie regen seine Fantasie an: Ihr Kind fühlt sich neben Ihnen sicher und geborgen. Es kann deshalb unbesorgt in eine spannende oder gar „gefährliche“ Fantasiewelt eintauchen.

Geschichten erzählen: Die richtige Geschichte für jedes Alter

Kurze Geschichten können Sie schon Kindern ab dem zweiten Lebensjahr erzählen. Hier eine Richtlinie, was ab welchem Alter am besten ankommt: Kinder ab einem Jahr haben Spaß daran, wenn Sie zusammen ein Bilderbuch ansehen. Erzählen Sie Ihrem Kind mit eigenen Worten, was auf den Bildern zu sehen ist. Regen Sie es an, dieses oder jenes auf den Bildern zu suchen. Ideal geeignet sind dafür die großformatigen Papp-Bilderbücher von Ali-Mitgutsch (z. B. „Auf dem Lande“; Ravensburger Buchverlag; 9,95 €) oder von Helmut Spanner (z. B. „Mein Bärenbuch“; Ravensburger; 10,95 €).

Ab zwei Jahren finden Kinder Geschichten aus dem täglichen Leben toll. Erzählen Sie Begebenheiten, die Ihr Kind selbst kennt und zu denen es eine Beziehung hat. Das kann ein Erlebnis vom Spielplatz sein oder was Sie zusammen im Wald oder beim Einkaufen erlebt haben. Hauptdarsteller kann Ihr eigenes oder aber ein anderes Kind oder vielleicht sogar das Lieblings-Kuscheltier sein. Wichtig ist, dass die Geschichte einfach, kurz und klar ist. Lassen Sie nicht zu viele Personen auftreten und vermeiden Sie Zeitsprünge („einen Monat später …“). Der Anfang sollte immer gleich lauten, etwa „Eines Tages …“. Am Schluss ist in jedem Fall  ein Happy-End gefragt: Alle Beteiligten müssen (wieder)  froh und glücklich sein. Kleinkinder lieben Wiederholungen, daher können Sie dieselbe oder nur leicht abgewandelte Geschichte ruhig immer wieder erzählen. Ihr Kind wird sich freuen, dass es schon weiß, was gleich passieren wird!

Ab drei bis vier Jahren darf die Geschichte dann ruhig etwas spannender ausfallen. Ihr Kind lebt nun in einer sehr fantastischen Welt. Es dürfen jetzt Monster, Hexen, Drachen und Gespenster auftreten. Besonders wichtig ist die Hauptfigur, die als Fixpunkt in jeder Geschichte vorkommt. Eine gute Hauptperson sollte liebenswert und unverwechselbar sein und alle Probleme meistern. So kann Ihr Kind sich mit dem starken Helden bzw. der Heldin identifizieren und gewinnt dadurch an Mut. Dabei kommen gerade Fantasiefiguren gut an: Erfinden Sie für Ihren Sohn z. B. einen mutigen Piraten oder Ritter, der ihm ähnlich ist. Ihre Tochter findet vielleicht eine listige, nette Hexe oder aber eine schöne Prinzessin oder gute Fee besonders interessant.

Ab drei bis vier Jahren kommen Kinder ins Märchenalter. Volksmärchen wie die der Gebrüder Grimm bieten sich nun an. Auch kindgerecht erzählte Geschichten aus dem Alten Testament finden großen Anklang. Wichtig ist weiterhin, dass die Handlung der Geschichte eher einfach und vorhersagbar ist. Auch wenn böse Schurken und gefährliche Monster auftreten, wird der Held der Geschichte mit Zauberkraft oder besonderen Hilfsmitteln (magisches Schwert, fliegender Besen, Kristallkugel) spielend damit fertig. Am Schluss wird alles wieder gut und die Bösen verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Beobachten Sie Ihr Kind während des Erzählens, damit die Geschichte (gerade vor dem Zu-Bett-Gehen) nicht zu spannend ausfällt. Ein paar „wohlige Schauer“ sind okay, Angst jedoch sollte Ihr Kind nicht dabei haben.

Für Kinder ab fünf Jahren darf die Geschichte schon etwas länger sein. Ihr Kind kann jetzt auch einer Geschichte folgen, bei der zwei Handlungsstränge miteinander verwoben sind („während Prinzessin Lila im Turm gefangen gehalten wird, kämpft sich der tapfere Ritter durch den Zauberwald …“). Zeitsprünge dürfen vorkommen, aber Sie sollten nur Zeiträume umfassen, die Ihr Kind schon kennt („drei Tage“).

Hier finden Sie Anregungen für Ihre Fantasiegeschichte

  • Erzählen Sie kleine Begebenheiten, die Sie selbst erlebt haben, oder Erlebnisse aus Ihrer Kindheit. Davon können Kinder meist nicht genug hören.
  • Erzählen Sie von Ihrem Kind heiß geliebte Filme oder Bücher in eigenen Worten nach bzw. erfinden Sie Variationen dazu.
  • Orientieren Sie sich mit Ihrer Geschichte daran, was Ihr Kind heute erlebt hat. Gab es Streit im Kindergarten? Dann könnte ja auch die Hauptperson der Geschichte in einen Streit verwickelt sein bzw. den Streit schlichten und für Gerechtigkeit sorgen.
  • Wenn sich der Held in einer misslichen Lage oder verzwickten Situation befindet, wirkt ein Zauberspruch meist wahre Wunder – und die Geschichte ist gerettet!
  • Ist die Geschichte festgefahren, und Ihnen fällt keine Lösung mehr ein, lassen Sie einfach Ihr Kind raten, was der Held denn nun gemacht haben könnte: „Was meinst du, was hat der Ritter jetzt getan?“ Und den Vorschlag, den Ihr Kind dann mit Sicherheit bringt, können Sie aufgreifen, um die Geschichte doch noch zu einem guten Ende zu bringen: „Genau das ist dem Ritter auch eingefallen, und er hat dann …“
Mein Tipp
Damit Ihre Geschichte gut ankommt, sollten Sie in jedem Fall betont und langsam sprechen. Das gibt Ihnen nicht nur mehr Zeit zum Nachdenken, sondern steigert auch die Spannung. Mit einer geheimnisvollen Stimme (vielleicht auch verschiedene Stimmen für jede Person), einem dramatischen Gesichtsausdruck und ausdrucksvollen Gesten lässt sich auch aus einer unspektakulären Geschichte noch ein perfektes Erzählerlebnis für Ihr Kind „zaubern“.

So werden Sie der „beste Märchenerzähler der Welt“

    • Wenn Sie Ihrem Kind ein Märchen erzählen, sollten Sie dafür genügend Zeit haben und sich ihm möglichst ausschließlich widmen. Beim Nebenbei-Erzählen im Auto (sofern Sie selbst fahren) oder während der Hausarbeit geht der Zauber des Märchens verloren.
    • Schaffen Sie eine geborgene Atmosphäre. Setzen Sie sich nahe zu Ihrem Kind und sehen Sie es beim Erzählen an. Schön ist es, wenn Sie aus der Märchenstunde ein kleines Ritual machen und dazu z. B. immer eine Kerze anzünden.
    • Vermeiden Sie Unterbrechungen. Sorgen Sie dafür, dass Sie während des Erzählens nicht gestört werden. Beginnen Sie am besten gar nicht mit einem Märchen, wenn Sie von vornherein wissen, dass Sie es nicht zu Ende erzählen können. Zur effektiven Problembewältigung gehört immer die Lösung, die sich im guten Ende des Märchens findet.
    • Beginnen Sie jedes Märchen mit einer rituellen Anfangsformel, wie „Es war einmal …“ oder „Vor langer, langer Zeit –“.
    • Erzählen Sie nicht zu schnell und verdeutlichen Sie die Situation mit Ihrer Stimme. Ihr Kind sollte an Ihrem Tonfall, Ihrer Mimik und an Ihren Gesten erkennen können, dass auch Sie das Märchen begeistert miterleben. Geben Sie sich je nach Situation im Märchen bestürzt, begeistert, traurig oder erfreut.
Mein Tipp
Wenn Ihr Kind große Augen bekommt, sich dicht an Sie kuschelt und/oder den Daumen in den Mund steckt, sind das meist Anzeichen dafür, dass es sich etwas ängstigt. Nehmen Sie dann Ihre Stimme etwas zurück und erzählen Sie eher sachlich weiter, bis sich die Anspannung bei Ihrem Kind wieder gelöst hat
    • Verwenden Sie möglichst immer denselben Wortlaut. Die meisten Kinder schätzen es sehr, wenn sie genau wissen, wie die nächsten Sätze lauten werden. Das gibt ihnen Sicherheit, dass auch diesmal alles wie erwartet gut ausgeht, und sorgt für eine gewisse Überlegenheit. Auch finden Kinder die wiederkehrenden Sprüche und Formeln („Knusper, knusper, knäuschen …“) äußerst interessant.
    • Verwenden Sie ruhig die etwas antiquierte und deshalb besonders interessante Sprache der Märchen. Das kommt nicht nur dem Wortschatz Ihres Kindes zugute, sondern macht aus dem Märchen etwas ganz Besonderes. „Schlafgemach“ klingt eben viel bedeutungsvoller als „Schlafzimmer“.
    • Ihr Kind sollte immer dazwischenfragen dürfen. Erklären Sie nicht zu viel und möglichst kindgerecht. Können Sie seine Frage nicht beantworten, sollten Sie es ermuntern, selbst eine Erklärung zu finden.