Rechenschwäche: So findet Ihr Kind Zugang zur Mathematik

Ihr Kind sitzt am Schreibtisch und starrt verzweifelt auf seine Mathe-Hausaufgaben. Es soll 20 zweistellige Aufgaben der Kategorie von 18 + 3 oder 64 – 5 ausrechnen, doch es braucht sehr lange dafür? Solch ein Verhalten lässt stark auf eine Rechenschwäche schließen. Lesen Sie hier, wie Sie Sicherheit erhalten und welche Methoden Ihrem Kind helfen. 

Inhaltsverzeichnis

Fehler-Alarm!

Plus und Minus im Hunderterzahlenraum? Für ein Kind Mitte der 2. oder in der 3. Klasse sollten solche Rechenaufgaben selbstständig und schnell lösbar sein. Für Kinder mit einer Lernschwäche oder Rechenschwäche stellen sie allerdings ein unüberwindbares Problem dar. Sie haben keine Vorstellung davon, um welche Mengen es geht, und versuchen oft, die Aufgaben schlichtweg auswendig zu lernen oder zählend zu lösen. Ein positives Ergebnis ist dann einfach Glückssache. Kinder mit einer Rechenschwäche oder Dyskalkulie verstehen die Sprache der Mathematik einfach nicht. Dass die Zahlen 6 oder 102 für bestimmte Mengen stehen, erschließt sich ihnen nur sehr langsam – viel langsamer als anderen Kindern.

Eine Rechenschwäche belastet nicht nur das Kind

Das fehlende Verständnis für die Grundlagen der Mathematik bringt früher oder später massive Probleme für das Kind mit sich, denn im Unterricht oder bei den Hausaufgaben wird darauf keine Rücksicht genommen. Grundwissen wird vorausgesetzt, sobald es in der Schule behandelt wurde. Betroffene Schüler verzweifeln an den Anforderungen, die sie nicht erfüllen können.

Und das ist nicht alles, denn die Dyskalkulie hat weitere Folgen:

  • Durch die täglichen Hausaufgabendiskussionen und schlechte Mathe-Noten erhöht sich der psychische Druck in der gesamten Familie.
  • Das Kind entwickelt eine Misserfolgsorientierung und traut sich nichts mehr zu, sodass ein Teufelskreis entsteht.
  • Eine wachsende Versagensangst kann sich auf die anderen Fächer ausweiten, womit das Problem nicht auf das Fach Mathematik beschränkt bleibt.

So erkennen Sie eine Rechenschwäche bei Ihrem Kind

Obwohl Ihnen nur ein anerkanntes Testverfahren absolute Sicherheit geben kann, gibt es viele Anhaltspunkte, die Eltern oder Lehrer aufmerksam machen sollten. Bei den folgenden beispielhaften Verhaltensweisen Ihres Kindes ist es sinnvoll, ein Testverfahren einzuleiten, um Sicherheit über das Vorliegen einer Dyskalkulie zu bekommen.

Zum Beispiel:

  • Ihr Kind zählt bei jeder Aufgabe, anstatt leichtere und schnellere Zugangswege zu benutzen.
  • Ihr Kind lernt Aufgaben auswendig, was auch dazu führt, dass das Gedächtnis stark überlastet wird.
  • Ihr Kind verzählt sich oft um eins, zum Beispiel bei Brettspielen wie „Mensch ärgere dich nicht“.
  • Ihr Kind wendet Tricks mechanisch an, ohne sie zu verstehen, z. B. „Immer wenn du mit 10 multiplizierst, bekommt das Ergebnis eine 0 ans Ende“.
  • Auf einem Zahlenstrahl können die Werte nicht richtig zugeordnet werden.
  • Platzhalter-Aufgaben (12 – ? = 8) erscheinen Ihrem Kind unlösbar.
  • Ihr Kind erkennt die Punktzahl auf einem Würfel nicht, sondern zählt sie jedes Mal neu.
  • Zehner und Einer werden beim Schreiben vertauscht, Ihr Kind schreibt 63 statt 36.

Zahlenverständnis bei Dyskalkulie

Die betroffenen Kinder gehen mit den Zahlen wie mit Buchstaben um. Sie ordnen ihnen keine Menge zu. Daher können sie größer und kleiner nicht erkennen, bilden keine Hälfte oder das Doppelte und verstehen das Prinzip der Bündelung nicht.

Mit einem Test gehen Sie bei Ihrem Kind auf Nummer sicher

Um eine Dyskalkulie sicher zu diagnostizieren, werden grundsätzlich zwei Tests mit Ihrem Kind durchgeführt. Ein Rechentest, beispielsweise der HRT (Heidelberger Rechentest), überprüft, wie sicher Ihr Kind in den Grundrechenarten, im Einschätzen von Längen, bei der Raum-Lage-Orientierung, beim Bündeln und bei Ergänzungsaufgaben ist. Dabei wird untersucht, wie Ihr Kind gegenüber einer Vergleichsgruppe abschneidet. Außerdem muss noch mit einem Intelligenztest ausgeschlossen werden, dass die Schwierigkeiten beim Rechnen auf eine generelle Lernschwäche zurückzuführen sind. Weitere Tests sind möglich, jedoch nicht unbedingt notwendig.

So können Sie Ihrem Kind helfen: In 7 Schritten zu mehr Rechen-Sicherheit

Kinder mit einer Rechenschwäche benötigen gezielte Unterstützung, um nicht an den Aufgaben oder an den schulischen Anforderungen im Fach Mathematik zu verzweifeln. Speziell dafür ausgebildete Lerntherapeuten sind in der Regel notwendig, um das Problem in den Griff zu bekommen. Im Internet, bei den örtlichen Erziehungsberatungsstellen oder direkt über das örtliche Jugendamt finden Sie geeignete Fachleute, aber auch zu Hause können Sie Ihrem Kind helfen, mit der Rechenschwäche zurechtzukommen.

1. Schritt: Verschaffen Sie Ihrem Kind Freiraum

Zunächst brauchen Sie Geduld, denn das Kennenlernen und Begreifen des Zahlenraumes bis 10 braucht Zeit. Sprechen Sie mit der Lehrkraft und erklären Sie, dass Ihr Kind als Erstes die Grundlagen der Mathematik in Ruhe lernen muss. Der aktuelle Schulstoff überfordert rechenschwache Kinder, denn er baut auf einem Wissen auf, das betroffene Schüler nicht haben. Differenzierte Aufgaben, die sich am Wissensstand Ihres Kindes orientieren, helfen ihm, seine Kenntnisse langsam zu erweitern und Erfolgserlebnisse zu haben.

2. Schritt: Trainieren Sie Mengenvorstellungen

Zur Orientierung im Zahlenraum muss Ihr Kind die Begriffe „mehr“, „weniger“ und „gleich viel“ kennen. Lassen Sie es daher immer wieder vergleichen, was mehr und was weniger ist. Zum Beispiel beim Einkauf im Supermarkt: „Sieh dir die beiden Parkplätze links und rechts der Straße an. Auf welchem stehen mehr Autos?“ Verändern Sie auch die Art der Objekte, lassen Sie Äpfel und Münzen vergleichen. Diskutieren Sie: „8 Münzen sind gleich viel wie 8 Äpfel, nehmen aber wesentlich weniger Raum ein.“ So lernt Ihr Kind langsam den Sinn der Mathematik kennen.

3. Schritt: Sichern Sie den Zahlenraum bis 10

Geben Sie Ihrem Kind einen Orientierungswert für die Menge 10, zum Beispiel seine 10 Finger oder eine bunte Kette mit 10 Perlen. Überlegen Sie sich Alltagsaufgaben, die im Zahlenraum 10 gerechnet werden müssen. „Dein Bruder bringt noch 2 Freunde zum Essen mit, wie viele Teller müssen dann auf den Tisch gestellt werden?“ Vergessen Sie nicht die Subtraktion, die rechenschwachen Kindern schwerer als die Addition fällt. „Wir haben 10 Buntstifte gekauft, unser Hund Basti zerkaut 3 davon. Wie viele sind noch ganz?“

4. Schritt: Üben Sie „Partnerzahlen“

Im Zahlenbereich bis 10 gibt es die sogenannten Partnerzahlen. Sie ergeben zusammen immer 10, also 0 + 10, 1 + 9, 2 + 8, 3 + 7 usw. Die sichere Kenntnis der Partnerzahlen, also das automatische Abrufen, erleichtert Ihrem Kind später auch im Hunderterbereich das Rechnen.

5. Schritt: Sprechen Sie über Rechenvorgänge

Bei den Hausaufgaben zählt das Ergebnis, doch mindestens ebenso wichtig ist der Rechenweg. Lassen Sie sich von Ihrem Kind erklären, wie es auf sein Ergebnis kommt. Nur so können Sie intervenieren, wenn es seinen Rechenvorgängen falsche Vermutungen zu Grunde legt.

6. Schritt: Mischen Sie keine Materialien

Rechenschwache Kinder benötigen Anschauungsmaterial, um sich Rechnungen zu verdeutlichen. Einigen Sie sich (möglichst mit der Lehrkraft) auf ein Material, um Ihr Kind nicht zu verwirren. Gut geeignet ist zum Beispiel ein Hunderterbrett, auf dem 100 Perlen oder Kugeln befestigt sind, aber auch Rechenstäbchen (hier wird die Menge der Länge zugeordnet) oder die Wasserglasmethode nach Schlotmann (Wassermenge wird durch Schütten verändert) können helfen.

7. Schritt: Üben Sie Bündeln

Rechnen wird erleichtert, wenn Ihr Kind das Prinzip der Bündelung versteht. 5 + 5 + 3 = 13. Anstatt immer wieder alle Kugeln abzuzählen, bildet Ihr Kind überschaubare Bündel, die es addieren kann.