„Ihr versteht mich doch sowieso nicht!“ Wie Sie mit Vorwürfen Ihres Kindes umgehen

Jugendliche provozieren gerne. Sie lassen nicht nur gerne coole Sprüche ab und diskutieren jede Kleinigkeit bis zur Erschöpfung, sondern überhäufen ihre Eltern auch gelegentlich mit heftigen Vorwürfen. Oft treffen sie dabei genau deren wunde Punkte. Das kann Empörung und Wut oder auch Traurigkeit und das Gefühl von Hilflosigkeit auslösen. Lesen Sie hier, wie Sie es schaffen, einerseits die Vorwürfe Ihres Kindes ernst zu nehmen und sich andererseits nicht zu sehr davon beeinträchtigen zu lassen. 

Inhaltsverzeichnis

Eltern-Kind-Kommunikation

„Jetzt redest du schon wieder so oberschlau und pseudopädagogisch daher!“, schreit Nina (13) ihre Mutter an. Ihre Augen blitzen vor Zorn: „Das hört sich immer alles ganz toll an, was du so sagst. Aber in Wirklichkeit meinst du das gar nicht so. Du tust zwar total tolerant, aber eigentlich gönnst du mir überhaupt keinen Spaß, weil du selbst nämlich immer nur schuftest und schuftest und selber überhaupt keinen Spaß am Leben hast!“ Ninas Mutter ist entsetzt. Wie kommt ihre Tochter dazu, so etwas Freches zu behaupten? Da gibt man dem Kind immer nur das Beste – und dann so was Undankbares? In ihr regt sich leise Wut: „Das habe ich wirklich nicht verdient!“,

Vorwürfe als Druckmittel und Ausdruck einer Befindlichkeit

Sabrina (15) hingegen setzt Vorwürfe geschickt dazu ein, unliebsamen Gesprächen aus dem Weg zu gehen: „Ich sag dazu gar nichts mehr. Ich hab keinen Bock, mich ständig zu rechtfertigen. Ihr versteht mich doch sowieso nicht!“ Und Leons (12) Lieblingsvorwurf an seine Eltern lautet  derzeit: „Meine Freunde dürfen alle viel länger Playstation spielen als ich. Ihr seid voll spießig!“ Insgeheim hofft er dann natürlich, dass seine Eltern ein Auge zudrücken, um in seinen Augen nicht mehr als „spießig“ zu gelten.

Vorwürfe sind aber nicht immer nur Mittel zum Zweck, sondern oft auch ein hilfloser Ausdruck einer Gefühlslage. So wie bei Felix (14), der seinem Vater eines Tages beim Abendessen lautstark an den Kopf wirft: „Früher warst du nie für mich da, immer nur Job, Job, Job! Warst du ein einziges Mal mit auf einem Fußballturnier? Nein! Und jetzt, wo ich bald erwachsen bin und mein eigenes Ding machen will, meinst du, mir noch mal eben dies und das verbieten und  vorschreiben zu können? Nee danke. Lass mal stecken. Da hab ich null Bock drauf.“

Entschlossen springt er auf, rennt zur Haustür und zieht sie mit einem heftigen Ruck hinter sich zu. Die Familie sitzt fassungslos am Tisch. Schweigen macht sich breit. Vorwürfe sind eine Methode, sich Gehör zu verschaffen Vorwürfe und Anklagen von Pubertierenden sind keine Seltenheit. Nahezu seismographisch nehmen sie jede noch so kleine vermeintliche Ungerechtigkeit wahr und reagieren mitunter sehr heftig darauf. Dabei werden sie oft laut, grob und stark verallgemeinernd. Kein einziges gutes Haar lassen sie in diesem Moment an ihren Eltern, was die oft vorübergehend sprachlos, wütend oder traurig macht. Auch was  Tonfall und Wortwahl angeht, sind Jugendliche oft wenig zimperlich. Sie „hauen“ einfach alles nahezu ungefiltert heraus, was ihnen gerade so durch den Kopf geht. Das ist aber nicht mal bewusst böse gemeint. Vielmehr befindet sich Ihr Kind in einer Art dauerhaften emotionalen Ausnahmesituation. Das rechtfertigt kein ungehobeltes oder aggressives verbales Benehmen, kann es aber erklären und damit für seine Eltern erträglicher machen.

Üben Sie sich also in Gelassenheit. Machen Sie sich immer wieder klar,

  • dass Ihr Kind derzeit ein sehr egozentrisches Weltbild hat und vorübergehend auch mal die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, verlieren kann,
    • dass ein vehementes Aufbegehren gegen Sie als Eltern ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass es sich an Sie gebunden fühlt. Das ist ein gutes Zeichen. Streiten und für die eigenen Interessen kämpfen – das üben Kinder und Jugendliche dort, wo sie sich am geborgensten fühlen,
    • dass sich Ihr Kind in gewisser Weise gegen Sie auflehnen muss, weil es sonst den inneren Absprung nicht schaffen kann.

Auch wenn es sich derzeit vielleicht nicht so anfühlt: Die wilden Zeiten gehen vorbei!

7 Tipps, wie Sie konstruktiv auf die Vorwürfe Ihres Kindes reagieren können

Um einen moderaten Umgang mit den Vorwürfen des Jugendlichen zu finden, könnten folgende Tipps hilfreich sein.

1. Versuchen Sie möglichst ruhig zu bleiben, blocken Sie jedoch nicht alles emotionslos ab. Das ist eine schwierige Angelegenheit. Aber wenn Ihr Jugendlicher merkt, dass alles, was er Ihnen verbal an den Kopf wirft, einfach nur ungehört abprallt, wird er die Dosis „Aggression“ so lange erhöhen, bis Sie irgendwann reagieren. Denn das will er auf jeden Fall: Dass Sie in irgendeiner Form auf seine Äußerung eingehen. Nichts ist für Jugendliche schlimmer und demütigender, als ignoriert zu werden.

2. Machen Sie sich auf keinen Fall lustig über die Vorwürfe Ihres Kindes! „Jaja, du bist hier sowieso der Ärmste von allen! Und der Schlauste bist du natürlich auch!“ Verkneifen Sie sich unbedingt solche oder ähnliche Bemerkungen. Wenn Sie in einer ohnehin schon angespannten Situation ironisch reagieren oder das Gesagte durch den Kakao ziehen, sorgen Sie für eine unnötige Eskalation der Situation. Außerdem kann es sich sehr beschämend anfühlen, wenn man so der Lächerlichkeit preisgegeben wird.

3. Vermeiden Sie „beleidigte Rückzüge“.Auch wenn es manchmal ein erster Impuls sein mag: Ziehen Sie sich nach einem verbalen Angriff Ihres Kindes nicht wie ein getroffenes Tier leidend zurück. Machen Sie sich klar, dass es Ihrem Kind nicht in erster Linie darum geht, Sie zu kränken, sondern darum, seine eigenen Ziele durchzusetzen oder auf einen „gefühlten“ Missstand aufmerksam zu machen. Ihr Kind braucht jetzt einen präsenten Sparringspartner. Versuchen Sie also, ihm standzuhalten. Wenn Sie das partout nicht schaffen, holen Sie sich professionelle Unterstützung, z. B. in einer Beratung.

4. Bleiben Sie authentisch, klar und präsent. Zumindest so gut Ihnen das eben gelingen mag. Wenn irgendwie möglich, bleiben Sie ganz nah an sich und Ihren Gefühlen. Sagen Sie dann auch ruhig „Du, ich werde jetzt langsam ärgerlich“ oder „Was? Das denkst du von mir? Jetzt muss ich mich erst mal hinsetzen“. Rechnen Sie aber bitte nicht mit Verständnis, Mitgefühl oder einer „Verschonung“: Es geht nicht darum, Ihr Kind durch ein bestimmtes Verhalten zu manipulieren, sondern darum, Ihrem Kind auch in schwierigen Situationen ein klares, ehrliches Gegenüber zu bleiben.

5. Lassen Sie sich nicht auf einen Machtkampf ein. Auch wenn es sich gelegentlich anders anfühlt: Sie sind der/die Erwachsene, Sie haben mehr Macht, Lebenserfahrung und Souveränität! Ihr Jugendlicher ist noch auf der Suche nach seiner Identität und von daher leicht irritierbar. Auch wenn er vielleicht wortgewandt und lautstark daherkommt, so ist das noch lange kein Zeichen von innerer Stärke. Im Gegenteil: Vorwürfe sind fast immer ein Zeichen von aufgestautem Ärger oder einer gefühlten Hilflosigkeit. Vermeiden Sie möglichst Gegenvorwürfe. Denn das würde lediglich in eine negative Endlosspirale und einen Machtkampf führen.

6. Beschäftigen Sie sich mit den Emotionen, die Ihr Kind bei Ihnen auslöst. Halten Sie kurz inne, und spüren Sie nach: Ist es Wut, Ärger, Hilflosigkeit? Verunsicherung, Traurigkeit oder etwas anderes? Was auch immer Sie jetzt fühlen: Diese Empfindungen sind mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit denen Ihres Kindes sehr ähnlich. Denn Kinder lösen durch ihr Verhalten sehr oft bei ihren Eltern genau die Gefühle aus, die sie selbst gerade empfinden.

7. Sollte die Situation so eskalieren, dass Sie fürchten, Ihr Kind zu schlagen oder auf eine andere Weise völlig die Fassung zu verlieren, steigen Sie rechtzeitig aus dem Provokationskarussell aus

Tipp
Holen Sie sich professionelle Unterstützung, wenn Sie das Gefühl haben, den Vorwürfen Ihres Kindes permanent hilflos ausgeliefert zu sein, oder wenn Sie unter starken Schuldgefühlen leiden. Manchmal spülen Konflikte mit den Kindern eigene belastende Kindheitserinnerungen hoch, was einen souveränen Umgang mit den Jugendlichen dann sehr erschwert.