„Komm her – geh weg!“ So gehen Sie mit launischem Verhalten Ihres Kindes angemessen um

Eben noch himmelhochjauchzend, jetzt zu Tode betrübt: Emotionale Achterbahnfahrten sind bei vielen Jugendlichen fast ein Dauerzustand. Nicht nur für sie selbst ist das anstrengend und kräftezehrend: Auch Eltern sind oft mit der jugendlichen Launenhaftigkeit überfordert oder lassen sich davon sogar anstecken. In diesem Beitrag lesen Sie, woran es liegt, dass Teenager so unausgeglichen sind, und wie Sie einen gelasseneren Umgang damit finden. 

Inhaltsverzeichnis

Verhalten in der Pubertät

„Seit meine Tochter in der Pubertät ist, ist unser ruhiges gemütliches Leben vorbei. Entweder sie macht uns heftige Vorwürfe, zickt aggressiv herum oder sie zieht sich schmollend in ihr Zimmer zurück. Ein paar Minuten später kommt sie dann wieder raus, umarmt mich und bezeichnet mich mit einem herzallerliebsten Piepsstimmchen als ‚die liebste Mami der ganzen Welt‘!“ Frau S. seufzt: „Das ist wirklich anstrengend. Nie weiß man, was kommt. Die Pubertät ist eine echte Wundertüte!“ So oder ähnlich wie Frau S. geht es vielen Teenager-Eltern. Mal meckern die Jugendlichen hemmungslos an ihren Eltern herum, um dann kurze Zeit später wieder höchst bedürftig an ihrem Rockzipfel zu hängen. Eltern fühlen sich dann oft hilflos, vor den Kopf gestoßen sowie zwischen Wut und Zuneigung hin und her gerissen. Kurzum: Die Pubertierenden sorgen durch ihr Verhalten dafür, dass diejenigen, die ihnen nahe stehen, auch bald so irritiert sind wie sie selbst. Sensible Eltern übernehmen dann oft die Gefühle der Kinder und erspüren so deren innere Aufgeriebenheit. „Übertragung“ nennt man das in der Psychologie.

Zwischen den Stühlen: Die Ambivalenzen des Teenagers verstehen lernen

Ihr pubertierendes Kind fühlt sich innerlich oft zerrissen zwischen

  • dem Wunsch nach Anerkennung, Sicherheit und Geborgenheit einerseits, und
  • dem Wunsch autonom und selbstständig zu werden, andererseits.

So kommt es, dass Ihr Teenager Sie in einem Moment „unmöglich“, „peinlich“ und „total daneben“ findet, eine Stunde später am liebsten wieder „auf Ihren Schoß klettern“ würde. Dieser Zwiespalt führt – in Kombination mit den vielen Veränderungen, die Ihr Kind jetzt verarbeiten muss –, zu einer erhöhten Kränkbarkeit und Irritation, die Außenstehende manchmal als „übertrieben“ abtun. Das ist nicht sehr hilfreich. Auch ein „unausstehlicher“ Teenager ist auf die konstante Zuwendung und das Mitgefühl seiner Eltern emotional angewiesen. Hier müssen Eltern in Vorleistung treten: Sie müssen Beständigkeit und Verlässlichkeit bieten, wenn die Teenager in ihrem eigenen Leben und Körper gerade keine mehr finden.

In Aufruhr: Was jetzt im Kopf und Körper des Teenagers alles passiert

Wenn wir pubertierende Jugendliche verstehen und ihnen beistehen wollen, ist es hilfreich, sich hin und wieder vor Augen zu halten, mit welchen massiven Veränderungen sie jetzt zu  tun haben. Hier nur einige Aspekte:

  • Das Gehirn verändert sich in der Pubertät stärker, als man bislang angenommen hatte. Die Substanz der Großhirnrinde erlebt einen Wachstumsschub, es entstehen unzählige neue neuronale Verschaltungen, das gesamte Hirn gleicht einer gigantischen Baustelle.
  • Die unterschiedlichen Regionen des Gehirns wachsen nicht parallel, sondern zeitlich versetzt. So dauern etwa die Umstrukturierungen im Präfrontalhirn besonders lange. Dieses Areal, der so genannte Stirnlappen, ist aber für Fähigkeiten wie Planung, Prioritätensetzung und die Unterdrückung von Impulsen zuständig: Kein Wunder also, dass Jugendliche launischer und aufbrausender sind!
  • Der Körper verändert sich massiv. Auch das ist für Teenager oft mit einer hochgradigen Verunsicherung verbunden. Manchmal stimmen die Proportionen einfach nicht mehr, die Hormone lassen die Pickel sprießen, die Schambehaarung und die wachsende Brust sind gewöhnungsbedürftig usw. Oft fühlen sich Jugendliche nicht richtig wohl in ihrer Haut. Auch das kann zu Unzufriedenheit und erhöhter Kränkbarkeit führen.
  • Aufkommende erotische Fantasien und sexuelle Bedürfnisse können schön, aber auch irritierend sein. Vor allem homoerotische Bilder (die in der Pubertät ganz normal sind) können zudem Ängste auslösen. Auch mit diesen schambesetzten Gefühlen müssen die Teenager irgendwie klarkommen.
  • Erste Verliebtheiten können Glückshormone ausschütten, aber auch Ängste und Traurigkeit auslösen, etwa wenn die Zuneigung nicht erwidert wird oder der Teenager befürchtet, für den oder die Umschwärmte nicht attraktiv genug zu sein. Auch in Herzensdingen fahren die Gefühle oftmals Achterbahn.

Wenn Eltern sich immer wieder mal klar machen, welche komplexen Entwicklungsaufgaben ihre Teenager gerade zu bewältigen haben, können sie ihnen oft auch wieder etwas freundlicher, verständnisvoller und gelassener begegnen.

Mein Rat:

Stimmungsschwankungen sind in der Pubertät normal. Wenn Sie aber bei Ihrem Jugendlichen folgende Symptome wahrnehmen, sollten Sie psychologische Hilfe suchen:

  • phasenweise überdreht wirkende Fröhlichkeit gekoppelt mit massiver Selbstüberschätzung und heftigem Aktivitätsdrang;
  • starke Selbstgefährdung nach dem Motto: „Mir kann nichts passieren“;
  • Halluzinationen oder „Stimmen hören“;
  • anschließend massiver „psychischer Absturz“ mit heftigen Wutausbrüchen, Selbstzweifeln und Mutlosigkeit.

Diese Symptome könnten Anzeichen einer manisch-depressiven bzw. bipolaren Störung sein, die unbedingt behandlungsbedürftig ist, um den Betroffenen zu schützen.

10 Tipps, wie Sie am besten mit den Stimmungsschwankungen Ihres Kindes umgehen

1. Machen Sie sich klar, dass Aggressionen kein Zeichen mangelnder Liebe sind.

Aggressionen spielen in jeder Liebesbeziehung eine Rolle. Je enger die Bindung, desto stärker können die Aggressionen ausfallen, etwa wenn einer sich lösen will oder mehr Freiraum braucht. Die Wut Ihres Kindes ist also kein Zeichen mangelnder Zuneigung oder Bindung! Im Gegenteil: Je mehr sich Ihr Kind an Sie gebunden fühlt, desto mehr muss es um seine neue Freiheit kämpfen!

2. Bleiben Sie bei Ihren Gefühlen

Versuchen Sie, sich von den heftigen „Launen“ Ihres Teenagers nicht sofort anstecken zu lassen. Wenn Ihr Kind wütend ist und herumschreit, müssen Sie ja nicht auch unbedingt gleich zurückschreien. Oder wenn es traurig ist: Versuchen Sie, seine Traurigkeit auszuhalten und nicht auch gleich traurig zu werden. Es ist gar nicht so leicht, einerseits Verständnis zu haben und sich gleichermaßen innerlich etwas distanzieren zu können. Aber üben Sie sich darin. Das ist für Sie gesund – und für Ihr Kind auch!

3. Schimpfen Sie nicht und machen Sie sich über die Launen Ihres Kindes nicht lustig

Ihr Kind hat momentan keine „echte Schuld“ an seinen Stimmungsschwankungen. Oft fühlen sich Jugendliche diesen ja selbst hilflos ausgesetzt. Insofern ist es wenig hilfreich, Ihr Kind für seine Launenhaftigkeit anzumeckern oder auszuschimpfen und von ihm zu fordern, „sich zusammenzureißen“. Besonders demütigend ist es für Jugendliche, wenn Eltern sich über ihre Empfindungen lustig machen. Das ist ein absolutes No-Go!

4. Entwickeln Sie Mitgefühl und Verständnis

Wenn sich Ihr Teenager oft provokativ benimmt, so versuchen Sie doch ab und zu in einer ruhigen Minute, sich einzufühlen:

  • Wie fühlt sich Ihr Kind gerade?
  • Wie geht es ihm in seinem Körper und in seinem Leben?
  • Mit welchen Schwierigkeiten hat es zu kämpfen?

Mithilfe dieser kleinen Einfühlungsübung können Sie mehr Mitgefühl und Verständnis entwickeln. Und beides braucht Ihr Kind jetzt.