Wenn Vater und Mutter sich nicht einig sind

Dass Eltern bei Erziehungsfragen unterschiedlicher Meinung sein können, kommt häufiger vor und ist zunächst auch kein Problem. Doch wenn Vater und Mutter in grundlegenden Dingen unüberbrückbare Differenzen entwickeln, dann gerät das Familienleben aus den Fugen. Verschiedene Erziehungsstile können eine echte Belastung für Kinder und Partnerschaft darstellen, aber sie können sogar entlastend und befreiend wirken. 

Inhaltsverzeichnis

Unterschiedliche Erziehungs-Stile der Eltern

In den folgenden beiden Fallbeispielen beschreibe ich Ihnen jeweils verschiedene Erziehungsauffassungen von Eltern – jedoch mit unterschiedlichen Konsequenzen für die Kinder und die Qualität des Familienlebens.

Familie Spieler: Unterschiedliche Erziehungsstile

Sie habe mit ihrem Mann große Schwierigkeiten, was die Erziehung ihrer beiden pubertierenden Kinder betrifft, erzählt Michaela Spieler, Mutter von Leonie und Sophie, 13 und 15 Jahre alt. Ihr Mann wäre einfach zu nachgiebig, der würde sich von den beiden Mädchen um die Finger wickeln lassen. Zwar hätten sie beide klare Grundsätze bezüglich Regeln und Ritualen, aber bei den Konsequenzen, da sei er schon nachgiebiger als sie. Und das wüssten die Kinder natürlich auch. Sie lächelt leicht genervt: „Wenn die etwas wollen, dann warten sie ab, bis Papa zu Hause ist und ich nicht da bin. Dann haben sie es leichter und nutzen das auch aus. Irgendwie verstehe ich das sogar, aber“, ihre Augen werden schmal, „sauer bin ich trotzdem, weil ich mir dann wie ein ungerechtes Monster vorkomme.“

Als ich Leonie und Sophie von der Beobachtung ihrer Mutter erzähle, schmunzeln beide: Natürlich wäre es mit Papa manchmal leichter zu diskutieren, weil er mehr zuhört und einwilligt, vor allem wenn er müde sei, schmunzelt Sophie: „Aber Papa kann auch richtig streng sein. Da gibt es dann für uns wenig zu diskutieren. Das ist auch absolut in Ordnung so, wir wissen dann, woran wir bei ihm sind.“ Leonie nickt und ergänzt: „Papa kann schon gut zuhören, ohne dass er einem gleich ins Wort fällt. Bei Mama habe ich manchmal das Gefühl, dass sie uns ausfragen oder aushorchen möchte. Sie dreht auch schneller durch und sieht überall immer nur das Schlimmste.“

Als ich Hubertus Spieler mit dieser Aussage konfrontiere, muss er lächeln. Er arbeite nicht gegen seine Frau, er habe großen Respekt davor, was sie mache: halbtags berufstätig, dann die Hauptlast in der Kindererziehung. Er bemühe sich so gut er könne, aber er arbeite bei der Bahn und habe Schichtarbeit: „Ziemlich anstrengende Angelegenheit. Aber wo ich kann, bringe ich mich in den Familienalltag mit ein!“ Er denkt nach: „Ich arbeite nicht gegen meine Frau. Die Grundlagen unserer Erziehung sind klar.“ Er überlegt: „Respekt! Achtung! Verlässlichkeit!“

Darauf könnten sich seine Kinder auch verlassen. Nur wäre er häufig ein wenig gelassener und könne auch mal Fünfe gerade sein lassen. Deshalb habe er mit seinen Töchtern einen „Vaterabend“ eingeführt: „Meine Frau ist dann mit ihren Freundinnen weg. Dann kochen wir, blödeln und albern rum!“ Er grinst: „Das einzige Problem ist dann, dass wir die Küche nicht so sauber hinterlassen, wie wir sie vorgefunden haben! Meine Frau ist dann wohl zu Recht sauer, obwohl wir uns Mühe geben.“ Aber, so bemerkt er, es gäbe vermutlich Unterschiede in den Sauberkeitsstandards von Männern und Frauen – und die müsse man wohl akzeptieren. Dann wird er ernst: „Um noch mal grundsätzlich zu werden: Väter und Mütter erziehen unterschiedlich. Und ich finde das auch gut so. Es geht nicht um eine bessere oder schlechtere Erziehung.

Väter und Mütter sind anders, und von dieser Andersartigkeit können Kinder profitieren. Man darf sich nur nicht gegeneinander ausspielen lassen.“

Familie Freiburg: Uneinige Erziehungsstile

„Genau, ganz genau!“, ruft Beatrice Freiburg dazwischen, als sie den letzten Satz hört. Ihr Mann und sie wären komplett unterschiedlicher Auffassung in der Erziehung ihrer drei Kinder: Max (acht Jahre), Joana (elf Jahre) und Roman (13 Jahre).

Sie denkt nach: „Unterschiedlich ist der komplett falsche Ausdruck! Wie soll man das richtig erklären?“ Sie schüttelt den Kopf: Unterschiedlich ist das nicht, wir sind uns total uneinig. Es ist ein Generve und Gezerre! Der eine sagt ‚Hü‘ und der andere ‚Hott‘!“ Ob sie das konkretisieren könne, will ich wissen. Da gäbe es viele Beispiele und Situationen, antwortet sie spontan. Sie bemühe sich um eine gewisse Struktur im Alltag, wolle Rituale praktizieren, setze in Maßen auch Grenzen, damit die Kinder wissen, woran sie sind, doch ihr Mann unterlaufe alle ihre erzieherischen Bemühungen. Er würde ständig kritisieren, dass sie zu streng sei, das Kommando gebe, alles reglementieren würde:

„Mit meinen Kindern, da komme ich klar. Gut, es gibt Konflikte, Reibereien. Aber die sind normal. Ist doch klar, dass meine Kinder sich nicht alles gefallen lassen!“ Ihr Gesichtsausdruck wird ernst: „Den richtigen Stress, den habe ich aber mit meinem Mann. Er stellt sich als der gute Papa dar, der alles erlaubt, und ich bin die böse Hexenmutter.“ Sie habe das Gefühl, ständig um die Gunst der Kinder mit ihrem Mann konkurrieren zu müssen.

Als ich Paul Freiburg von der Einschätzung seiner Frau erzähle, schüttelt er den Kopf: „Meine Frau macht sich ständig ihre pädagogischen Gedanken. Die will alles richtig machen. Ich kann mit ihr da nicht an einem Strang ziehen. Bei ihr ist alles komplett verplant. Ich sehe mich als ein Korrektiv und mache bewusst alles anders! Ich weiß, dass das meiner Frau nicht gefällt, aber vielleicht denkt sie ja dann auch mal nach!“ Die Hoffnung habe er jedenfalls noch nicht aufgegeben. Er sieht mich an:„Und wissen Sie, was? Ich hatte einen strengen Vater, der ließ nichts durchgehen. Ich habe mir damals geschworen: ‚So wirst du nicht.‘ Und so werde ich auch nicht. Da kann meine Frau machen, was sie will!“

Roman, der älteste Sohn, hat seine eigene Einschätzung: „Auf meine Mama kann ich mich verlassen. Ich weiß, was ich von ihr bekomme. Wenn sie ‚Nein!‘ sagt, dann ist es auch ein ‚Nein!‘“ Er grinst: „Bei Papa weiß ich, dass er immer das Gegenteil von dem macht, was Mama sagt und will!“ Roman denkt nach: Papa will, dass wir ihn lieber haben. Aber ich hab doch beide lieb! Nur weil ich bei ihm länger aufbleiben oder am Computer spielen kann, kann ich ihn doch nicht lieber haben!“

Der „feine“ Unterschied

Man muss zwischen unterschiedlichen und uneinigen Erziehungsstilen unterscheiden. Väter und Mütter erziehen – auf der Grundlage eines Verständnisses – unterschiedlich. Das hat meist mit Nähe und Distanz zu tun: Die Erziehungsperson, die näher am Kind „dran“ ist, agiert manchmal gereizter, unduldsamer, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Die Erziehungsperson, die eine distanziertere Sicht hat, Hubertus Spieler demonstriert das, kann eine großzügigere Sichtweise praktizieren. Hubertus Spieler und seine Frau ergänzen sich in der Erziehung ihrer Kinder, sie arbeiten in der Erziehung nicht gegeneinander, sondern miteinanderFür die Kinder bedeutet dieser unterschiedliche Erziehungsstil, dass

  • sie wissen, woran sie bei Vater und Mutter sind; sie können ihre Eltern in ihren unterschiedlichen Erziehungsverhalten verlässlich einschätzen,
  • Eltern wie Kindern Luft zum Atmen und zur individuellen Entfaltung bleibt; die Eltern ziehen zwar an unterschiedlichen unterschiedlichen „Strängen“, aber sie spielen sich dabei nicht gegenseitig aus, ergänzen sich eher und bleiben in ihrem Erziehungsstil berechenbar.

Ganz anders stellt sich die Situation bei Familie Freiburg dar. Hier geht es nicht um Unterschiedlichkeit, hier steht Uneinigkeit auf der Tagesordnung. Uneinigkeit gründet auf Erziehungsvorstellungen, die nicht kompatibel sind: Herr Freiburg praktiziert einen Laissez-faire-Stil. Frau Freiburg bemüht sich um einen partnerschaftlichen Erziehungsstil, der auf Grenzen, Regeln und Ritualen gründet. Für die Kinder bedeutet dieser uneinige Erziehungsstil, dass

  • sie sich alleine fühlen; es geht oft gar nicht um ihre tatsächlichen Belange, sie sind nur die „Objekte“, an denen die Eltern ihre unterschiedlichen Auffassungen abarbeiten,
  • die Eltern um ihre Zuneigung konkurrieren; das belastet die Kinder, zerrt an ihnen,
  • sie oft in Loyalitätskonflikte geraten; Romans Aussage: „Aber ich hab doch beide lieb“ zeigt das deutlich.