Wie Sie es schaffen, sich emotional besser abzugrenzen

Naturgemäß nehmen Eltern starken Anteil an dem Leben ihrer Kinder. Das ist richtig und wichtig. Ebenso wichtig ist aber auch, dass sie sich auf eine liebevolle Weise von ihrem Kind abgrenzen können. Lesen Sie in diesem Beitrag, warum es gerade für Pubertierende wichtig ist, dass sich Mama und Papa richtig abgrenzen, und wie Sie das am besten schaffen. 

Inhaltsverzeichnis

Loslassen in der Pubertät

Dass Kinder und Jugendliche Geborgenheit, Aufmerksamkeit und Zuwendung brauchen, wissen Eltern. Doch Kinder und Jugendliche brauchen gerade in der Pubertät noch etwas anderes, nämlich die grundsätzliche Erlaubnis, sich von ihren Eltern abgrenzen und sich von ihnen unterscheiden zu dürfen, also beispielsweise

  • anders fühlen zu dürfen als die Eltern,
  • andere Wertemaßstäbe zu entwickeln,
  • andere Prioritäten zu setzen als die Eltern,
  • sich anders entwickeln zu dürfen, als Eltern das erwarten usw.

Eltern können das umso leichter fördern, je besser sie sich selbst von ihrem Kind emotional abgrenzen können, je besser sie also die Grenzen zwischen sich und ihrem Kind wahrnehmen, annehmen und respektieren können. Je klarer Eltern abgegrenzt sind, desto leichter fällt es dem Kind, seinen ganz persönlichen Weg in die Selbstständigkeit zu gehen. Zu einer gelungenen Abgrenzung gehört, ein klares Bewusstsein darüber zu haben, dass mein Kind nicht die Verlängerung meiner selbst ist. Die entsprechende Grundhaltung lautet: „Ich bin ich, und du bist du, und du bist ein anderer als ich.“

Emotionale Verstrickungen vermeiden durch Abgrenzung

Das hört sich banal an, ist aber in der Realität manchmal gar nicht so leicht umzusetzen. Denn je näher man sich ist, je mehr man sich Sorgen um jemanden macht, umso leichter kann es passieren, dass man sich emotional miteinander verstrickt. Das kann zu einer nahezu symbiotischen, überharmonischen Beziehung zwischen Mutter oder Vater und Kind führen, in der beide immerzu ähnlich fühlen (dürfen) und es kaum noch Unterschiede zwischen beiden zu geben scheint. In diesem Fall wird ein Jugendlicher heftige Schuldgefühle entwickeln, wenn er etwas anderes denkt oder fühlt, als der Elternteil gut findet. Es kann aber auch dazu führen, dass sich die verstrickten Personen in Endlosstreitereien verheddern. Das passiert zwischen Eltern und Kindern z. B. dann, wenn das Kind den elterlichen Erwartungen nicht entspricht, die Eltern aber nicht bereit sind, von ihren Erwartungen abzulassen. Besonders für die Entwicklung von Jugendlichen in der Pubertät sind diese beschriebenen Beziehungsmodelle ungünstig. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Erwachsenen in einer gesunden Weise von dem erwachsen werdenden Kind abgrenzen. Denn das erleichtert es den Jugendlichen, selbstständig und autonom zu werden.

Entgegen häufiger Vermutungen bedeutet emotionale Abgrenzung nicht:

  • sich von dem Kind abzuwenden,
  • sich desinteressiert zu zeigen,
  • dem Kind nicht richtig zuzuhören,
  • es seinem Schicksal zu überlassen,
  • emotional unbeteiligt zu sein,
  • sich von seinem Kind zu distanzieren,
  • es weniger lieben zu sollen,
  • es einfach weniger zu fragen,
  • es weniger zu unterstützen usw.

Sich emotional abzugrenzen hat also nichts mit Lieblosigkeit oder Desinteresse zu tun!

5 Grundsätze der positiven Abgrenzung

Sich emotional gut abgrenzen zu können bedeutet vielmehr:

  1. Eine klare Grenze zwischen sich selbst und dem Kind ziehen und unterschiedliche Gefühlszustände nebeneinander stehen lassen zu können (z. B.: „Mein Kind ist heute traurig. Mit geht das zwar sehr nah, es geht mir aber heute dennoch gut“).
  2. Dem Kind zuzugestehen, eigenständige und andere Vorstellungen zu entwickeln (z. B.: „Mein Kind hat ganz andere Vorstellungen vom Leben als ich. Das ist zwar gewöhnungsbedürftig, und ich hätte es mir anders gewünscht, bin aber bereit, mich damit auseinanderzusetzen und zurechtzukommen“).
  3. Dem Kind seine Gefühle zu lassen, sie ihm nicht ausreden oder wegmachen zu wollen (z. B.: „Mein Kind ist traurig. Ich stehe an seiner Seite, und ich kann das aushalten. Ich muss ihm seinen Kummer nicht wegtrösten. Jeder darf mal traurig sein“).
  4. Seine eigenen Gefühle zu kennen und diese von denen des Kindes zu trennen (z. B.: „Es berührt mich sehr, dass mein Kind gerade traurig ist, weil ich in meiner Jugend auch oft traurig war. Ich weine also nicht nur wegen meinem Kind, sondern auch wegen meiner eigenen Geschichte“).
  5.  Gleichzeitig mit den eigenen Gefühlen in Kontakt sein und bei dem Kind sein können, sprich: dem Kind authentisch zu begegnen (z. B.:„Es fällt mir ganz schwer, dich traurig zu sehen, weil es meine eigene Traurigkeit berührt. Ich möchte gerne trotzdem für dich da sein: Kann ich dir etwas Gutes tun?“).

Sich emotional abgrenzen: Was hilfreich ist

Auch wenn es nicht immer leicht ist, die eigenen Gefühle von denen einer anderen geliebten Person zu trennen, so sollte man sich doch darin üben. Geeignet dafür sind z. B. Wahrnehmungsübungen. Hilfreich ist weiterhin eine gute Selbstkenntnis: Je besser sich Eltern selbst kennen und je intensiver sie sich mit ihrer eigenen Kindheitsgeschichte beschäftigt haben, desto leichter fällt ihnen in der Regel, sich von ihrem Kind emotional abzugrenzen. Denn sie sind dann beispielsweise nicht mehr so gefährdet, unverarbeitete eigene Erfahrungen auf das Kind zu projizieren. Eine weitere hilfreiche Fähigkeit ist es, die eigenen Gefühle aushalten zu können. Das bedeutet: die eigenen Gefühle bewusst zu spüren, aber sie nicht sofort ausagieren zu müssen.

Damit ist nicht gemeint, die Gefühle zu unterdrücken oder zu verdrängen, sondern sie wahrzunehmen und auszuhalten. Jemand, der seine Gefühle halten oder „containen“ kann, kann z. B. spüren, dass in ihm die Wut hochkriecht, ohne dass er gleich zu schreien beginnt. Er kann sowohl mit seiner Wut als auch mit der anderen Person in Kontakt bleiben. Das ist zugegebenermaßen eine hohe Kunst. Eltern tun jedoch gut daran, dies ab und zu mal auszuprobieren. Oft verändern sich dadurch die Gespräche mit den Kindern: Sie werden intensiver und authentischer.

Mein Tipp
Nehmen Sie das bitte nur als Anregung, keinesfalls als unerlässliche Pflicht! Pubertierende Kinder zu begleiten ist an sich schon eine fordernde Aufgabe. Passen Sie also auf, dass Sie sich nicht noch zusätzlich überfordern und übermenschliche Souveränität von sich verlangen. Das erhöht den Stresspegel unnötigerweise und tut letztlich niemandem gut.

Sich besser emotional abgrenzen: 3 Wahrnehmungsübungen für den Alltag

  1. Spüren Sie im Alltag häufiger einmal hin, welche Gefühle Sie bei sich wahrnehmen. Achten Sie darauf, welche Auslöser es für welche Gefühle gibt: Was macht Sie schnell traurig? Was macht Ihnen gute Laune? Durch diese kleine Übung werden Sie Ihren eigenen Gefühlen gegenüber aufmerksamer.
  2. Achten Sie mal bewusst darauf, welche Stimmungen bei Ihnen im Kontakt mit Ihrem Kind hervorgerufen werden. Macht Ihr Kind Sie oft wütend oder traurig? Das könnte einerseits bedeuten, dass Ihr Kind selbst oft wütend und traurig ist. Gleichermaßen berührt es aber auch eine Wut und eine Traurigkeit in Ihnen selbst. Woher könnten diese kommen?
  3. Versuchen Sie, in Konfliktsituationen ganz bewusst bei sich selbst und den eigenen Gefühlen zu bleiben. Beobachten Sie Ihre Reaktionen: Ab welchem Punkt werden Sie sauer oder ärgerlich? Was genau hat das bewirkt? Versuchen Sie gleichzeitig, die Gefühle Ihres Kindes wahrzunehmen. Wo gibt es Unterschiede?
Mein Tipp
Oft lehnen wir bei unseren Kindern Eigenschaften ab, die wir an uns selbst nicht dulden. Regt es Sie z. B. auf, dass Ihre Tochter oft faul ist? Dann fragen Sie sich, wie Ihr Verhältnis zur Faulheit ist: Verbieten Sie sich, faul zu sein? Wenn ja, warum?