Das Haus des Wissens: 8 Grundregeln zum gehirngerechten Lernen

In diesem Beitrag geht es um die Grundprinzipien des Lernens, die eine Speicherung der Informationen im Gedächtnis erleichtern. Dazu haben wir mit Schülern gemeinsam ein leicht verständliches Modell entwickelt: das „Haus des Wissens“. Es visualisiert das Gedächtnis auf eine schülergerechte Art und verdeutlicht, welche acht Grundregeln bzw. Lernwege das Lernen und die Speicherung von Lernstoff erleichtern. 

Inhaltsverzeichnis

Langzeitgedächtnis fördern

Das sind die „drei Etagen“ unseres Haus des Wissens.

Die Eingangstür und das Erdgeschoss: Ultrakurzzeitgedächtnis (UKZG)

Das Ultrakurzzeitgedächtnis entscheidet, welches neue Wissen in das Gedächtnis hinein darf und welches nicht. Dabei lassen die Türsteher nicht alle Informationen herein, und werfen manche auch wieder heraus. Hineingelassen wird zunächst alles, was Ihr Kind interessant oder wichtig findet.

Der erste Stock: Kurzzeitgedächtnis (KZG)

Im Kurzzeitgedächtnis wird der Lernstoff so weiterverarbeitet, dass er später sicher im Gedächtnis gespeichert werden kann. Damit Ihr Kind den Lernstoff nicht gleich wieder vergisst, sollte es das Gelernte gerade in den ersten zwei oder drei Tagen möglichst häufig wiederholen.

Das Dachgeschoss: Langzeitgedächtnis (LZG)

Im Langzeitgedächtnis bleibt der Lernstoff für immer gespeichert. Das heißt allerdings nicht, dass Ihr Kind ihn wie eine Computerdatei auch jederzeit abrufen kann. Damit die Informationen durch die Eingangstür in das Ultrakurzzeitgedächtnis gelangen und letztendlich auch im Langzeitgedächtnis für immer gespeichert sowie jederzeit abrufbar sind, müssen folgende acht Lernwege von Ihrem Kind beschritten werden.

Lernweg „strukturiertes Lernen“

Manchen Menschen fällt es leichter, anderen schwerer, beim Lernen strukturiert vorzugehen. Hilfreich ist es aber für jeden, der sich Wissen so aneignen möchte, dass er es zur richtigen Zeit und im richtigen Umfang wieder abrufen kann. Strukturiertes Lernen umfasst beispielweise folgende Bereiche:

  • das Ordnen, zum Beispiel von Arbeitsmaterialien, das Anlegen von (farbigen) Heften und Ordnern für die einzelnen Schulfächer,
  • das zeitliche Planen, zum Beispiel von Lernnachmittagen oder Vorbereitungszeiten für Klassenarbeiten,
  • das inhaltliche Planen, zum Beispiel als Vorbereitung für einen Aufsatz, ein Referat oder eine Klassenarbeit,
  • das Kennen, Erkennen (und Widerlegen) von Regeln und Gesetzmäßigkeiten, zum Beispiel beim Lernen der Rechtschreibung, Grammatik, des Notensystems in Musik, des Periodensystems in Chemie etc.,
  • das Erarbeiten von Überblicks- und Detailwissen im Zusammenhang, zum Beispiel die Zuordnung des „simple past“ zu anderen bislang gelernten englischen Zeitformen, die Einordnung des aktuellen Stundenthemas „Flächenberechnungen“ zum Themenbereich „Geometrie“.
Lernexperiment 1

Lesen Sie sich die folgenden 20 Begriffe zwei Minuten lang durch und versuchen Sie, sie in der vorgegebenen Reihenfolge auswendig zu lernen. Kontrollieren Sie anschließend, wie viele Begriffe Sie behalten konnten.

Stuhl, Banane, Zirkel, Schraubenzieher, Apfelsine, Radiergummi, Schrank, Bohrmaschine, Säge, Kirschen, Bett, Spitzer, Zange, Apfel, Tisch, Lineal, Sofa, Hammer, Stift, Kiwi

Wie ist es gelaufen? Konnten Sie sich mehr als acht Begriffe in der Reihenfolge behalten? Dann haben Sie wirklich ein tolles Gedächtnis! Sollten Sie sich weniger als acht Begriffe in der vorgegebenen Reihenfolge gemerkt haben, ist das übrigens völlig normal.

Lernexperiment 2

Versuche Sie jetzt, die folgenden 20 Begriffe zwei Minuten lang in der vorgegebenen Reihenfolge zu behalten. Kontrollieren Sie anschließend Ihr Ergebnis wie bei Lernexperiment 1.

Schlagzeug, Bass, Gitarre, Saxophon, Klavier, Fußball, Basketball, Tennis, Schwimmen, Reiten, Elefant, Löwe, Hund, Spinne, Mücke, Cola, Fanta, Apfelsaft, Orangensaft, Mineralwasser

Hat es besser als beim ersten Lernspiel geklappt? Wenn ja, liegt das daran, dass die Begriffe in diesem Fall nach den Wortfeldern „Musikinstrumente“, „Sportarten“, „Tiere“ und „Getränke“ geordnet sind. Hilfreich ist das strukturierte, geordnete Lernen für jeden, der sich Wissen so aneignen möchte, dass er es zur richtigen Zeit und im richtigen Umfang wieder abrufen kann.

Lernweg „Anknüpfungsmöglichkeiten schaffen“

Es ist immer leichter, Lernstoff zu verstehen und zu speichern, wenn er mit bereits vorhandenem Wissen in Beziehung gesetzt werden kann. Die neuen Informationen können so einfacher in das bestehende „Wissensnetz“ eingearbeitet werden. Gerade in der Schule während der sind diese Anknüpfungspunkte für Teenager meist notwendig, um den nachfolgenden Schulstoff überhaupt verstehen zu können. Fehlt zum Beispiel in Mathe die sichere Kenntnis der Grundrechenarten, kann Ihr Kind kaum eine Textaufgabe richtig lösen. Weitere Anknüpfungsmöglichkeiten sind zum Beispiel:

  • interdisziplinäres Lernen, zum Beispiel bei Schulprojekten (das Thema „Wasser“ wird zugleich in Biologie, Physik, Deutsch, Religion, Erdkunde etc. betrachtet),
  • außerschulische Lernorte, zum Beispiel der Besuch einer Kläranlage mit dem Biolehrer, der Besuch des Zoos, ein Tag im Museum, der Urlaub auf dem Bauernhof etc.,
  • Erfahrungswissen, zum Beispiel war Ihr Kind im letzten Urlaub in Griechenland an historischen Orten, die nun im Geschichtsunterricht eine Rolle spielen,
  • Herleitungen, zum Beispiel beim Verstehen des Wortes „Karfreitag“ (mittelhochdeutsch „kar“, englisch „care“) als Tag der Trauer, Sorge und (Weh-) Klage,
  • Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen, zum Beispiel beim Lernen einer zweiten Fremdsprache entdeckt Ihr Kind Ähnlichkeiten in der Lautung und Grammatik,
  • vorhandenes Wissen, zum Beispiel muss Ihr Kind das kleine Einmaleins können, um das große Einmaleins zu verstehen.
Lernexperiment 3
Versuchen Sie doch nun einmal, folgende mathematische Regel auswendig zu lernen: Eine zweimal stetig differenzierbare Funktion f von x hat an der Stelle x-null ein lokales Maximum, wenn f-Strich an der Stelle x-null gleich null ist und f-zwei-Strich an dieser Stelle kleiner null ist. Wie ist es Ihnen dabei ergangen? Sollten Sie nicht zufälligerweise mit dieser mathematischen Materie aktuell vertraut sein, konnten Sie das Phänomen der fehlenden Anknüpfungsmöglichkeiten wohl am eigenen Leib erfahren.

Lernweg „Ähnlichkeitshemmungen vermeiden“

Manchmal können Ähnlichkeiten helfen, Lernstoff besser einzuordnen, mitunter können zu große Ähnlichkeiten das Lernen aber auch behindern. Lernt Ihr Kind zum Beispiel unmittelbar nacheinander Englisch- und Französischvokabeln, kann es passieren, dass es entweder viele englische und/oder französische Vokabeln wieder vergisst. Ähnlicher Lernstoff sollte also in einem zeitlichen Abstand voneinander gelernt werden.

Lernexperiment 4

Lernen Sie folgende Englischvokabeln:

grade – Grad, Stufe

grain – Korn

grand – großartig

grant – bewilligen

grape – Weintraube

grate – Gitter oder reiben

grave – ernst oder Grab

great – groß

greed – Gier

greet – begrüßen

Schwierig, oder? Genauso kann es sich verhalten, wenn Ihr Kind zum Beispiel die deutsche s-Schreibung lernen will und dabei alle drei Schreibmöglichkeiten (s, ß, ss) nebeneinander übt. Besser ist es, zunächst nur Wörter mit „s“, später Wörter mit „ß“ und anschließend Wörter mit „ss“ zu trainieren. Vermischt sollte Ihr Kind erst üben, wenn es alles verstanden hat und die Regeln einzeln sicher beherrscht.

Lernweg „Lernen durch Wiederholung“

Sofern das Interesse am neuen Lernstoff nicht so groß ist, dass er sofort im Langzeitgedächtnis abgespeichert wird, benötigt das Gedächtnis dazu mehrere Durchgänge. In der Regel ist es günstig, am Anfang Wiederholungen in kürzeren Zeitabständen durchzuführen.

Wir empfehlen Schülern, aktuellen Lernstoff noch am gleichen Tag zu wiederholen – und nicht erst zu warten, bis das Fach wieder auf dem Plan steht. Nach einigen Tagen ist eine solche Wiederholung fast so anstrengend wie ein Neulernen!

Je besser der Lernstoff sitzt, umso größer können dann die zeitlichen Abstände der Wiederholung werden. Für das Lernen und Wiederholen von Vokabeln ist zum Beispiel eine Lernkartei sehr gut geeignet. Sinnvoll ist es auch, beim Wiederholen möglichst viele Lernkanäle zu benutzen, also einmal den Lernstoff aufzuschreiben, einmal zu lesen, einmal selbst zu erzählen, einmal sich erklären zu lassen etc.