Wie sinnvoll sind Strafen und Verbote?

Verbote und vor allem Bestrafungen waren früher in der Kindererziehung weit verbreitet. Auch heute noch gelten sie als notwendige Erziehungsmethoden. Doch wie sinnvoll sind Strafen und Verbote wirklich? Besonders Jugendliche sträuben sich oft gegen Einschränkungen oder Bevormundung und um – gehen Verbote höchst kreativ. Lesen Sie in diesem Artikel, wie Sie konstruktiv Kompromisse aushandeln, wie Sie am besten reagieren, wenn Ihr Teenager Ihre Vorschriften ignoriert, und warum Sie möglichst auf Strafen verzichten sollten. 

Inhaltsverzeichnis

Erziehungstipps

Lucie (15) will am Wochenende auf eine große Party gehen. Allerdings kennt sie weder den Gastgeber persönlich noch dessen Adresse. Lucies Mutter behagt das gar nicht und untersagt ihr das Unterfangen spontan. Lucie ist eingeschnappt und schreit ihre Mutter an: „Alle meine Freundinnen gehen hin, nur ich darf natürlich nicht. Du bist eine richtige Spaßverderberin!“ Wütend schmeißt sie die Tür hinter sich zu. Lucies Mutter grübelt nun, ob ihre Entscheidung vielleicht zu vorschnell war. Hätte sie nachgeben sollen? Auf der anderen Seite: Sie weiß ja überhaupt nicht, was das für ein Typ ist, der die Party da macht! ‚Ach je‘, seufzt Lucies Mutter, ‚immer diese schwierigen Entscheidungen!‘

Erlauben oder verbieten? Vor dieser kniffligen Frage stehen Eltern von Teenagern sehr häufig. Doch wie findet man denn eigentlich die richtige Entscheidung? Dafür gibt es leider kein Patentrezept. Hilfreich könnte es allerdings sein, sich Folgendes klar zu machen:

1. Es gibt kein „richtig“ und kein „falsch“ in Entscheidungsfragen

Eine Entscheidung zu treffen, bedeutet immer auch, ein gewisses Risiko einzugehen. Denn schließlich wissen wir erst im Nachhinein, ob die Entscheidung passend war. Wenn Lucies Mutter z. B. später erfährt, dass die Party in einem wilden Tumult endete, wird sie sich in ihrer Entscheidung bestätigt fühlen. Sollte sich jedoch herausstellen, dass es sich um eine ganz harmlose Feier gehandelt hat, wird sie vielleicht Zweifel an ihrer Entscheidung bekommen.

2. Jede Entscheidung muss subjektiv getroffen und verantwortet werden

Abgesehen von den gesetzlichen Regelungen, an die sich Eltern natürlich halten müssen, haben sie relativ viel Entscheidungsspielraum, was sie ihrem Kind erlauben oder verbieten dürfen. Diese Entscheidungen orientieren sich sinnvollerweise an den eigenen Wertmaßstäben und Überzeugungen. Eltern, die selbst sexuell recht freizügig sind, werden dann z. B. weniger Probleme damit haben, wenn der Freund bei der Tochter übernachten will, als Eltern, die diesbezüglich etwas konservativere Vorstellungen haben. Auch hier gibt es kein allgemein gültiges „richtig“ oder „falsch“.

3. Jede Entscheidung hat Konsequenzen

Wenn Lucie nun nicht zur Party gehen darf, wird sie sich vielleicht überlegen, ob sie ihrer Mutter nicht einfach das nächste Mal erzählt, sie übernachte bei einer Freundin, um dann heimlich auf eine Party zu gehen. Das Vertrauensverhältnis wäre dann nachhaltig beschädigt. Es kann aber auch sein, dass Lucie insgeheim froh ist, dass die Mutter ihr die Entscheidung abgenommen hat, denn eigentlich war ihr die Party selbst nicht so recht geheuer. Jetzt kann sie vor ihren Freundinnen die Mutter für schuldig erklären und muss sich nicht für ihr Fernbleiben rechtfertigen. Das kann besonders für Teenager, die sich dem Gruppendruck schlecht entziehen können, manchmal sehr entlastend sein.

Man kann also immer auch eine „falsche“ Entscheidung treffen, Mut zum Risiko gehört dazu! Und im Nachhinein weiß man immer etwas besser. Entscheiden Sie ganz persönlich nach bestem Wissen und Gewissen!

Lieber verhandeln als verbieten

Wie hätte Lucies Mutter noch reagieren können? Sicher wäre es hilfreich gewesen, wenn sie – statt gleich abzublocken – erst ein paar Fragen gestellt hätte und mit Lucie in Verhandlung getreten wäre. Dann hätte der Dialog ganz anders aussehen können. Viel besser, als etwas strikt und „aus dem Bauch heraus“ zu verbieten, ist es,

  • möglichst viele Infos über die Veranstaltung oder das Vorhaben zu bekommen,
  • Kompromisslösungen zu finden, mit denen beide Parteien zufrieden sind,
  • sich vielleicht Bedenkzeit auszubedingen und gegebenenfalls mit dem Partner darüber zu reden,
  • den Teenager anzuhalten, das Unternehmen gewissenhaft zu planen und sich auch für Eventualitäten abzusichern,
  • für den Notfall als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen.

Jugendliche müssen lernen, Situationen realistisch einzuschätzen und für die eigene Sicherheit zu sorgen. Je mehr sie in den Planungs- und Entscheidungsprozess einbezogen werden, desto besser fördern Sie damit ihr selbstständiges Denken und Handeln sowie ihr Verantwortungsbewusstsein.

Außerdem sind Jugendliche erfahrungsgemäß eher bereit, sich an Verabredungen zu halten, wenn sie an deren Zustandekommen maßgeblich beteiligt waren. 

Hilfreich könnten also folgende Fragen sein:

  • „Was ist das für eine Veranstaltung? Wer zeichnet dafür verantwortlich?“
  • „Wo findet die Party/die Veranstaltung statt?“
  • „Was weißt du über den Gastgeber?“
  • „Mit wem möchtest du dort hingehen? Wer kommt sonst noch, den du kennst?“
  • „Sind Erwachsene für den Notfall in der Nähe oder erreichbar?“
  • „Wie kommst du hin?“
  • „Und wie kommst du wieder nach Hause?“
  • „Kannst du dafür sorgen, dass du den Rückweg zusammen mit deinen Freunden/Freundinnen bestreitest? Fährt ein Bus, holt euch jemand ab, oder könntet ihr für ein Taxi zusammenlegen?“
  • „Wann hattest du vor, zu Hause zu sein?“
  • „Was machst du, wenn du dich dort unwohl fühlst und nach Hause möchtest, aber deine Freunde/Freundinnen noch nicht?“

Wichtig ist im Übrigen auch, Ihr Kind zu ermutigen, sich auch dann zu Hause zu melden,  wenn etwas gründlich schief gelaufen ist – etwa wenn es zu viel Alkohol getrunken hat und es ihm entsprechend schlecht geht oder wenn es den letzten Bus verpasst hat. Auch in einer solchen ungeplanten Notfallsituation sollte sich Ihr Kind vertrauensvoll an Sie wenden können. Wenn es sich aus lauter Angst vor Strafe nicht zu melden traut, kann das durchaus fatale Folgen haben.

Bestrafungen & Co.: Was tun, wenn Jugendliche sich nicht an Verbote und Vorschiften halten?

Tim (16) ist zum wiederholten Mal von einer Party zu spät nach Hause gekommen. Die Eltern sind sauer und enttäuscht. Aus lauter Verärgerung verdonnern sie ihn zu einer Woche Hausarrest. Tim lacht darüber nur: „Wie wollt ihr mich denn hier festhalten? Wollt ihr mich anschnallen oder was?“ Tims Eltern sind fassungslos: Erst hält er sich nicht an die elterlichen Vorgaben, und dann reagiert er noch so respektlos! Sie wissen nicht weiter und wenden sich an eine Beratungsstelle.

Viele Eltern pubertierender Kinder kommen irgendwann an die Grenzen ihrer Autorität. Sie merken, dass die Teenager die elterlichen Vorgaben nicht mehr wie früher klaglos akzeptieren, sondern sie torpedieren. Hier hilft nur eins: umdenken! Jugendlichen kann man nämlich nur noch eingeschränkt Vorschriften machen, vielmehr brauchen sie nun konkrete und konstruktive Hilfestellungen dabei, ihre Entscheidungen selbst zu treffen und die Verantwortung dafür zu tragen.

5 Gründe, warum Strafen nicht hilfreich sind

Ob Hausarrest, Computerverbot oder Taschengeldentzug: Strafen sind kein empfehlenswertes Erziehungsmittel, und zwar aus folgenden Gründen:

1. Strafen sind ein Ausdruck von Macht

Wer eine Strafe verhängen kann, demonstriert seinen überlegenen Status und seine Machtposition. Bei Jugendlichen, die ja gerade um ihre Autonomie ringen, kann das zu heftigem Widerstand und/oder zu großer Frustration führen. Das belastet die Eltern-Kind Beziehung unnötigerweise und führt auf der emotionalen Ebene zu weiteren Schwierigkeiten sowie zu verschärften Machtkämpfen.

2. Strafen wirken oft willkürlich und sinnlos

Wenn die verhängten Strafen nichts mit dem „Fehlverhalten“ des Jugendlichen zu tun haben (z. B. Fernsehverbot nach Zuspätkommen), erlebt er diese Zwangsmaßnahme (zu Recht) als willkürlich und sinnlos. Er lernt daraus nichts und sitzt seine Strafe dann mehr oder weniger genervt aus.

3. Strafen sind oft Ausdruck von Hilflosigkeit

Wenn sich Eltern nicht mehr durchsetzen können, greifen sie manchmal aus Hilflosigkeit auf Strafen zurück. Jugendliche merken das. Entweder sie nutzen diese Hilflosigkeit dann weiter für ihre Zwecke aus oder sie strafen die Eltern mit Verachtung. Im Grunde wünschen sich Jugendliche nämlich souveräne Eltern, die als Sparringpartner zur Verfügung stehen.

4. Strafen helfen nicht dabei, eine Lösung des Konflikts herbeizuführen

Tims Eltern sind zu recht verärgert. Doch der Konflikt ist damit natürlich nicht gelöst. Die interessante Frage lautet: Wie können Eltern und Jugendliche sich auf gemeinsame Regelungen einigen, mit denen beide gut leben können? Das geht nicht mit hierarchisch strukturiertem Verhalten durch Vorschriften und Bestrafungen, sondern nur durch Gespräche und gemeinsame Verhandlungen auf Augenhöhe.

Mein Tipp:
Entwickeln Sie möglichst kein grundsätzliches Misstrauen, auch wenn Ihr Kind sich wiederholt nicht an bestimmte Regeln hält. Geben Sie ihm immer wieder die neue Chance, sich „richtig“ zu verhalten. Glauben Sie an seinen guten Willen, auch wenn es sich manchmal danebenbenimmt. Ihr Kind spürt, ob Sie ihm grundsätzlich vertrauen oder all sein Tun mit Argusaugen beobachten. Das eine gibt Mut und Selbstvertrauen, das andere verunsichert eher und macht ärgerlich.

5. Strafen haben keine nachhaltige positive Wirkung

Selbst wenn Tim sich an den Hausarrest hielte, wäre unsicher, ob ihn das nun dazu bringen wird, besser zu „gehorchen“. Möglicherweise ist sein Kampfgeist jetzt geweckt, und er will den Eltern nun noch stärker beweisen, dass er sich nicht mehr wie ein kleines Kind behandeln lässt. Es kann gut sein, dass sich durch die verhängte Strafe ein Machtkampf entspinnt, den keine Partei wirklich gewinnen kann.