Pubertät: Wie sich jetzt das Denken Ihres Kindes verändert!

Eltern staunen oft, wenn ihr Kind in die Pubertät kommt: Plötzlich stellt es merkwürdige Fragen, zweifelt alles an und provoziert mit kühnen Thesen. Oft redet es durchaus schlau daher, verhält sich aber ebenso oft irrational oder ungehalten. Lesen Sie hier, wie sich das Denken Ihres Kindes in der Pubertät verändert. 

Inhaltsverzeichnis

Geistige Entwicklung in der Pubertät

„Mein Sohn ist letzten Monat 12 Jahre alt geworden. Er war bis vor Kurzem ein ruhiger, ausgelassener Geselle. Er war gut in der Schule und akzeptierte eigentlich immer, was ich ihm sagte. In letzter Zeit aber gibt er häufig Widerworte, findet meine Forderungen ungerecht und reagiert oft unwirsch oder unfreundlich. Ich verstehe das nicht. Dabei ist er so clever! Ich mache auch gar nichts anders als vorher. Was ist bloß los mit ihm?“ So klagte letztens Herr M. über seinen Sohn Jannis.

Viele Eltern machen sich ähnliche Gedanken wie dieser besorgte Vater. Was passiert eigentlich im Kopf des Kindes? Warum verändert sich sein Verhalten so extrem? Machen wir was falsch? Oder liegt das alles nur an den Hormonen?

Wegen Umbau vorübergehend geschlossen: Gehirnentwicklung bei pubertierenden Kindern

Natürlich spielen die Hormone eine große Rolle beim Heranwachsen in der Pubertät. Bis vor Kurzem hielt man sie sogar für die Hauptverursacher jugendlicher Verwirrungszustände. Da dachte man allerdings auch noch, dass das Gehirn des Menschen im Teenageralter bereits weitgehend ausgereift sei.

Eine gründliche Feheinschätzung, wie man heute weiß. Denn vor einigen Jahren machten Wissenschaftler die verblüffende Entdeckung, dass sich das Gehirn von Jugendlichen dramatisch verändert, ja dass es sich sogar in einem gigantischen Umbauprozess befindet. Millionen von Nervenverbindungen werden jetzt neu geknüpft, Millionen anderer verschwinden wiederum. Dass diese massiven hirnorganischen Veränderungen auch das Denken und Verhalten des Teenagers beeinflussen können, liegt auf der Hand.

Kognition und Pubertät: Wie sich das Denken bei Teenagern entwickelt!

Unter Kognition versteht man ganz allgemein die Verarbeitung von Informationen und Erkenntnisprozessen. Dazu zählen neben dem Denken auch die Aufmerksamkeit, das Lernen, die Wahrnehmung, die Erinnerung, das Beurteilen usw. Folgende kognitiven Fähigkeiten werden während der Pubertät besonders herausgebildet:

1. Das Abstraktionsvermögen prägt sich bei Teenagern aus

Wenn Ihr Kind etwa zwölf Jahre alt ist, entwickelt sich sein Abstraktionsvermögen bzw. es prägt sich stark aus.

Woran Sie das bei Ihrem Kind merken:

Ihr Kind kann sich nun in seinem Denken stärker auf Dinge oder Vorgänge beziehen, die nicht konkret wahrnehmbar, also nicht greifbar sind. Des Weiteren ist es zunehmend in der Lage, wichtige Merkmale eines Sachverhalts von unwichtigen zu unterscheiden, diese Eigenschaften auf andere Sachverhalte zu übertragen und daraus Verallgemeinerungen abzuleiten. So ist es in der Lage, grammatikalische Regeln zu erkennen oder mathematische Formeln zu verstehen.

2. Das so genannte „formal-operatorische Denken“ entsteht in der Pubertät

In der Pubertät lernt Ihr Kind formal-operatorisch zu denken, das heißt, dass es nun in der Lage ist, beim Denken bewusst und systematisch vorzugehen.

Woran Sie das bei Ihrem Kind merken:

Ihr Kind kann nun aus seinen Gedanken logische Schlussfolgerungen ziehen. Vielen Jugendlichen macht es regelrecht Spaß, verschraubten philosophischen Gedankengängen zu folgen oder durch eigenes fantasievolles „Herumspinnen“ auf die verrücktesten Ideen zu kommen. So mancher Teenager hat schon neue Geräte erfunden oder unkonventionelle Theorien entwickelt. Je neugieriger und kritischer die Jugendlichen sind, desto herausfordernder können dann auch die entsprechenden Diskussionen mit ihnen sein.

Jugendliche sind nun in der Lage, Hypothesen zu bilden.

Woran Sie das bei Ihrem Kind merken:

Viele Fragen, die sich Teenager selbst oder anderen stellen, sind rein hypothetischer Natur. Während jüngere Kinder vieles als gegeben hinnehmen, was sie von den Erwachsenen hören und lernen, stellt sich Ihr Teenager nun Fragen wie: „Könnte es auch anders sein? Was wäre, wenn …?“ Dazu gehört auch, dass sich Ihr Kind nun mit komplexen gesellschaftlichen und politischen Themen auseinandersetzt, beispielsweise mit Krieg, Hunger, Umweltverschmutzung, Unterdrückung etc. So entsteht langsam ein politisches und soziales Bewusstsein, das ein kleines Kind aufgrund mangelnder Hirnreife noch nicht haben kann.

Das hypothetische Denken hilft übrigens auch dabei, Lösungsmöglichkeiten für Probleme zu finden. Unterstützt wird das durch das Entstehen der so genannten metakognitiven Fähigkeiten, also durch die wachsende Fähigkeit, über das Denken selbst nachzudenken. Auch das metakognitive Denken ermöglicht dem Jugendlichen, seine Gedanken bewusst zu steuern und zu beeinflussen. Das kann dabei helfen, neue Einsichten zu gewinnen und das eigene Verhalten zu verändern.

4. Informationsaufnahme und –verarbeitung verbessern sich in der Pubertät

Nachweislich verbessern sich in den Jugendjahren auch die Konzentrationsfähigkeit und die Fähigkeit zur selektiven Aufmerksamkeit.

Woran Sie das bei Ihrem Kind merken:

Das Arbeitsgedächtnis und der Langzeitspeicher arbeiten jetzt effektiver, die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit erhöht sich. Ihr Teenager kann besser als ein junger Schüler geeignete Strategien beim Einprägen von Fakten und Zusammenhängen anwenden. Insgesamt bedeutet das eine sukzessive Verbesserung der Fähigkeit zur Informationsaufnahme und -verarbeitung.

Ambivalenzen: Warum Widersprüche zwischen Kopf und „Bauch“ in der Pubertät normal sind

Woran Sie das bei Ihrem Kind merken:

Da der Jugendliche nun in der Lage ist, sich über sich selbst Gedanken zu machen, beginnt jetzt auch die Zeit der Selbstbeurteilung und Selbstkritik. „Wer bin ich, und wie will ich sein? Was macht mich besonders, was unterscheidet mich von anderen? Wie wirke ich auf andere, und wie kann ich das beeinflussen?“ Solche Fragen beschäftigen Ihr Kind nun verstärkt – und es kann auch Antworten darauf finden.

All diese kognitiven Prozesse sind maßgeblich für die Reifung und Persönlichkeitsentwicklung Ihres heranwachsenden Kindes. Denn sie ermöglichen letztlich verantwortungsbewusstes und vorausschauendes Denken und Handeln sowie die Entwicklung geeigneter Problemlösungsstrategien.

Ambivalenzen: Warum Widersprüche zwischen Kopf und „Bauch“ in der Pubertät normal sind

Das jugendliche Gehirn ist also vollkommen ausgelastet, weil es gerade im Umbruch begriffen ist. Die kognitive Entwicklung Ihres Teenagers schreitet rasant voran. Nun fragen Sie sich vielleicht, warum Ihr Kind sich trotzdem oft noch so „kindlich“ und unvernünftig verhält, wenn doch seine kognitive Leistungsfähigkeit immer weiter voranschreitet. In der Tat: Die vorhandenen kognitiven Fähigkeiten und das jugendliche Verhalten passen oft nicht zusammen. So kann es sein, dass Ihr Kind Ihnen eine sehr inhaltsreiche Rede über ungesundes Essen hält, nur um sich im nächsten Moment eine ganze Tüte Chips einzuverleiben. Oder es hält sehr ernst gemeinte Moralpredigten über die Ungerechtigkeit der Welt und ärgert direkt im Anschluss daran das kleine Geschwisterkind. Oder es moniert wortreich den Kapitalismus im Allgemeinen und geht anschließend drei Stunden lang ausgiebig shoppen. All das ist eher ein Grund zum Schmunzeln denn zur Sorge. Wissenschaftlern zufolge ist nämlich der Teenager aufgrund seiner hirnorganischen Übergangssituation geradezu dazu prädestiniert, „verrückte“ Dinge zu tun und sich ambivalent zu verhalten.

Eltern müssen bei Teenagern manchmal den Stirnlappen ersetzen!

Das liegt zum einen daran, dass die hirnorganischen Umbauarbeiten nicht linear und stetig verlaufen, sondern schubweise vonstatten gehen. Darüber hinaus hat jeder Teenager sein eigenes Tempo und Temperament. So kann es sein, dass sich ein 13-jähriger manchmal vernünftiger verhält als seine 16-jährige Schwester. Manche Jugendliche verhalten sich risikobereiter, und andere wiederum leiden unter Ängsten und trauen sich kaum etwas zu. Das alles ist fast immer normal und reguliert sich mit der Zeit.
Mein Tipp:
Machen Sie sich bitte über das ambivalente Verhalten Ihres Sohnes oder Ihrer Tochter nicht lustig, und werfen Sie ihm das auch nicht vor. Natürlich können Sie diese Widersprüchlichkeiten thematisieren, aber bitte nicht auf eine sarkastische oder höhnische Art. Das ist Gift für jede Beziehung und zieht nur Wut und Enttäuschung nach sich.

Eltern müssen bei Teenagern manchmal den Stirnlappen ersetzen!

Da Jugendliche offensichtlich die Folgen ihres Handelns oft nicht richtig einschätzen können, erleben sie manchmal böse Überraschungen. Deshalb sind Eltern durchaus gefordert, den mangelhaft funktionierenden Stirnlappen des Jugendlichen zu kompensieren. Zumindest wenn es um gravierende Entscheidungen geht, sollten Eltern noch ein Wörtchen mitreden: etwa bei Schulangelegenheiten, bei der Berufswahl, beim Thema Alkoholkonsum oder gar Drogen. Hier sollte der Jugendliche also keinesfalls ganz sich selbst überlassen werden.