Gefahr durch Gewalt in den Medien?

Es gibt keine einfachen Antworten auf diese Fragen! Eine Vielzahl von mehr oder weniger fundierten Verhaltenstipps verunsichern mehr, als das sie helfen! Daher erfahren Sie hier unter welchen Umständen Gewalt in den Medien tatsächlich zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft von Jugendlichen führen kann. 

Inhaltsverzeichnis

Wie gefährlich ist mediale Gewalt für Kinder?

Der Soziologe Ernst Schulze erklärte zu Beginn des 20. Jahrhunderts:

„Es liegt ja auf der Hand, dass die Schundliteratur schon infolge der Wahl ihrer Worte Wirkungen der schlimmsten Art ausüben muss. Schildert sie doch niemals etwas anderes als Verbrechen aller Art – je blutiger und roher, desto besser, daneben Hinrichtungen und andere Dinge, die den Blutdurst des Lesers und seine Sinnlichkeit anstacheln sollen.“

Dass solche Mutmaßungen nicht Spekulationen sind, bewies der Autor „schlüssig“ durch folgende Begebenheit: „Der 15-jährige Kochlehrling Wilhelm Rütting in Berlin erschoss seinen Koch, auf den er seinen Zorn geworfen hatte. Die beständige Lektüre der Verbrecher- und Detektivhefte und ähnlicher Erzeugnisse der schlechten Literatur hatten seine Phantasie so mit Vorstellung erfüllt, dass er zum Revolver greifen musste, dass er es schließlich tat.“

Nun, Jahrzehnte später, sind es Fernsehen, Video und Computerspiele, die als kleinster gemeinsamer Nenner herhalten müssen, wenn es darum geht, brutale Gewalt an und von Jugendlichen, Vandalismus im Alltag oder menschenverachtende Ausschreitungen zu erklären. Da heißt es zum Beispiel in einer Boulevardzeitung:

„In M. hat die 26-jährige Z. ihren Liebhaber ermordet, dann zerstückelt, gekocht, gebraten und in 41 Dosen tiefgefroren. In ihrer Wohnung fand die Polizei 150 Videokassetten, darunter die schlimmsten Kannibalenfilme.“

Grundsätzlich fällt bei diesem Thema seit Langem auf: In vielen öffentlichen Diskussionen überwiegen grob vereinfachende Sichtweisen. Man sucht nicht nach vielfältigen Rahmenbedingungen, um gefährliche Auswüchse zerstörerischer und brutaler Gewalt zu ergründen, sondern nach Sündenböcken. Und die sind fix zur Hand: die Gesellschaft, die Politik, die Medien usw. Jeder und jede schlägt – so scheint es – auf den Sündenbock ein, der am besten passt.

Nicht allein die Medien sind Schuld

Es geht mir bei diesem kurzen historischen Exkurs nicht um ein „Es war halt immer schon so!“ oder gar um eine Verharmlosung der Einflüsse von Massenmedien, sondern darum, die Faszination von Gewalt in den Medien, die manche Kinder und Jugendliche regelrecht in ihren Bann schlägt, genauer zu deuten und zu bestimmen. Um nicht missverstanden zu werden:

Mich schaudert, wenn ich die manchmal ebenso grässlichen wie gewaltverherrlichenden Medienangebote betrachte. Doch zugleich bin ich besorgt über die populistischen Töne, mit denen man darüber diskutiert. Wenn man aus den abgezählten Fernsehleichen eine Zunahme zerstörerischer Gewalt im Alltag ableitet, ist das nicht allein kurzschlüssig, sondern vor allem verharmlosend.

Aber leichtfertig ist zugleich, jeglichen Einfluss von medial dargestellter Gewalt zu leugnen, denn Gewalt in den Medien macht eben nicht friedlich. Es gibt keine einflusslosen Bilderwelten.

Und borniert ist es auch, wenn ständig behauptet wird, über die Einflüsse medialer Gewalt wisse man nichts Genaues. Bei einer Forderung nach einer genauen Betrachtung darüber, wie sich Gewalt in den Medien auf das Verhalten von Jugendlichen auswirkt und was genau sie daran fasziniert, geht es nicht darum zu bagatellisieren. Es kommt vielmehr darauf an, jene sozialen wie individuellen Bedingungen von Heranwachsenden zu benennen, unter denen sich Gewaltdarstellungen problematisch auswirken dürften. Und dann wird schnell deutlich: Gewalt in den Medien und die Darstellung des Bösen stellen keine Ursache für zerstörerische Gewalt oder den Einzug des Bösen in das Alltagsleben dar – aber Gewalt in den Medien kann problematische Lebenseinstellungen durchaus verstärken.

Die Lebenswelt der Jugendlichen muss genauer betrachtet werden

Um die Bedeutung und den Einfluss der Gewaltsymbolik in den Medien zu verstehen, muss man sich auf die Heranwachsenden einlassen. Das heißt: Wer die Relevanz medial dargestellter Gewalt genauer bestimmen will, muss auf das eingehen, was der Jugendliche in den Prozess der Aneignung mit einbringt. Dazu zählen zum Beispiel:

  • entwicklungsbedingte Wahrnehmungsbesonderheiten,
  • sozialpsychologische Aspekte,
  • individuelle Befindlichkeiten,
  • der Rückhalt in sozialen Netzwerken,
  • die Verschiedenheiten familiärer Erziehungsstile und
  • das Verhaftetsein in spezifischen (z. B. jugend-)kulturellen Zusammenhängen.

Jugendsoziologische und -psychologische Untersuchungen haben die Bereitschaft zur Gewaltanwendung mit existenziellen sozialen Ängsten der Heranwachsenden erklärt und die zerstörerische Aggression und Brutalität als verzweifelten Hilfeschrei gedeutet. Einige Erkenntnisse aus der Jugend- und Medienforschung will ich hier zusammenfassen:

  1. Ängstliche und verunsicherte Jugendliche sowie Jugendliche mit wenig Selbstwertgefühl haben eine Vorliebe für Action-Filme, in denen sich der einzelne Held bzw. eine Gruppe im Kampf bewähren muss. Solche Medienangebote werden zu einer Art „psychischer Prothese“, die „man“ braucht, um sich zu stabilisieren. Es kann zu starken emotionalen Bindungen an das darstellende Medium kommen.
  2. Gefühlsmäßig „leere“ Jugendliche nutzen ihre Medienangebote als Flucht. Die Angebote dienen der Flucht in Traumwelten, sie kompensieren Niederlagen, oder sie werden benutzt, um Konflikten und Auseinandersetzungen auszuweichen. Nur über die Welt der medialen Symbole setzt man sich mit der Realität auseinander. Nur sie geben Verlässlichkeit, Orientierung, Vertrauen, nur sie stiften Sinn. Solche Mediennutzung hat etwas Zwanghaftes an sich.
  3. Eine Identitätsbildung, die über die Auseinandersetzung mit zerstörerischer Gewalt der Medienhelden abläuft, bleibt dabei häufig eine negative. Identität wird nur über Abwertung und Ausgrenzung aufgebaut. Selbstwertgefühl und Verlässlichkeit lassen sich so aber nicht herstellen.

Wenn Sie Fragen haben …

… zur Medienerziehung, zu empfehlenswerten Medien, zum gesetzlichen Jugendschutz, können Sie sich dazu direkt bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien informieren: BPjM, Service-Telefon: 0228 / 37 66 31