Geschwister erziehen: Von Sündenbock und Unschuldslamm
In vielen Familien gibt es zwischen den Geschwistern eine „Aufgabenteilung“: Eines ist der Streithansel, das andere das bemitleidenswerte Opfer. Und selbst wenn das bei Ihnen nicht so sein sollte, gestaltet sich Ihre Erziehung allein aufgrund des Geschlechts Ihrer Kinder unterschiedlich. Lesen Sie hier, wie Sie eine ungünstige Rollenverteilung in der Familie ändern oder vermeiden können und emanzipierte Geschwister erziehen.
- Rollenverteilung von Geschwistern innerhalb der Familie
- Rollenverteilung von Geschwistern in der Familie: Wie und warum werden Rollen verteilt?
- Geschwister erziehen: Der Sündenbock im Teufelskreis
- Wie holen Sie den Sündenbock unter den Geschwistern aus dem Teufelskreis?
- Geschwister erziehen: Auf Rollenzwänge reagieren und positives Verhalten betonen
- Entwicklungshemmende Rollenverteilung unter den Geschwistern vermeiden
- Rollenverteilung zwischen Bruder und Schwester
- „Emanzipierte“ Geschwister erziehen
Rollenverteilung von Geschwistern innerhalb der Familie
In den ersten Lebensjahren durchlaufen alle Kinder gewisse Entwicklungsphasen, doch ab etwa vier Jahren bilden sich bestimmte Eigenschaften und Charaktermerkmale stärker heraus. So lässt sich nun klarer erkennen, ob man es mit einem Draufgänger, einer kleinen Diva, einer Sportskanone oder einem Angsthasen zu tun hat.
Rollenverteilung von Geschwistern in der Familie: Wie und warum werden Rollen verteilt?
Eine gewisse Rollenverteilung unter Geschwistern ist nicht an und für sich schlecht, solange nicht eines der Kinder immer als das „böse“ dasteht. Jede Rolle vermittelt Orientierung für das eigene Verhalten, und die Geschwister grenzen sich durch unterschiedliche Rollen voneinander ab. So ist es nicht verwunderlich, dass sich oft Rollenpaare unter den Geschwistern bilden: der Angsthase und der Draufgänger, die Sportskanone und der Tollpatsch oder der Sündebock und das Unschuldslamm. So vermindert sich der Konkurrenzdruck, weil beispielsweise der Tollpatsch sich als kleines Genie profiliert und den Sport seinem Bruder überlässt. Welche Rolle innerhalb der Familie ein Kind übernimmt, hängt nicht nur von dessen Neigungen und Charaktereigenschaften ab. Auch Eltern und Geschwister tragen einen großen Teil dazu bei. Wurde ein Kind erst einmal auf eine Rolle festgelegt, wird es diese „Zwangsjacke“ nur schwer wieder los. Wer immer nur als Störenfried oder Raufbold angesehen und als Sündenbock dargestellt wird, wird sich bald entsprechend verhalten. Belastender, als viele Eltern glauben, ist auch die Rolle des „guten Kindes“, das sich oft wünscht, genauso unartig sein zu dürfen wie seine Geschwister. Doch es fühlt sich verpflichtet, den Erwartungen der Eltern zu entsprechen.
Geschwister erziehen: Der Sündenbock im Teufelskreis
Ein Beispiel: Lena (fünf Jahre) piesackt ständig den kleinen Birger (drei Jahre), ist aufmüpfig und aggressiv. Dabei ist Birger wirklich immer lieb und sanft zu Lena, sodass die Eltern ihn ständig vor der bösen Schwester in Schutz nehmen müssen. Lena wird immer wütender und aggressiver, da sie das Gefühl hat: „Niemand mag mich! Alle finden nur immer Birger lieb, aber nie mich!“
So wird Lena immer schlimmer, und ihre Eltern sehen sie nur noch als das „böse“ Kind. Die negativen Erwartungen, die Lena von ihren Eltern hat und die ihre Eltern von ihr haben, werden immer wieder bestätigt. Dieser Teufelskreis setzt sich ohne aktive Bemühungen seitens der Eltern immer weiter fort. Und sogar der gepiesackte kleine Birger profitiert von Lenas Verhalten: Er ist Mamas Liebling und kann auf Kosten seiner Schwester glänzen.
Wie holen Sie den Sündenbock unter den Geschwistern aus dem Teufelskreis?
- Wenden Sie sich Ihrem „schlimmen“ Kind vermehrt zu! Kuscheln Sie mit ihm, loben Sie es, beachten Sie es, sobald es sich auch nur einigermaßen gut benimmt.
- Steigen Sie aus der „Rollen-Zwangsjacke“ aus! Vermitteln Sie Ihrem „schlimmen“ Kind, dass es auch gute Seiten hat. Sie werden feststellen, dass nicht nur Sie, sondern oft auch die Geschwister oder gar das „schlimme“ Kind selbst an der bisherigen Rolle festhalten, weil alle nun mal daran gewöhnt sind.
Geschwister erziehen: Auf Rollenzwänge reagieren und positives Verhalten betonen
- Sagen Sie z. B. statt „Lena, hast du Birger schon wieder den Teddy versteckt? Warum musst du auch immer so gemein zu ihm sein?“ lieber ganz neutral „Birger möchte seinen Teddy zurückhaben“.
- Wenn Birger weinend ankommt und klagt: „Lena ist gemein. Die hat mir schon wieder meinen Teddy weggenommen!“, können Sie ihn ermutigen: „Frag Lena einfach, ob sie dir bitte den Teddy wiedergibt. Du wirst staunen, wie lieb Lena sein kann“.
- Und wenn Lena von sich selbst behauptet: „Ich weiß schon, dass ich böse bin“ können Sie entgegnen: „Du kannst aber auch richtig nett sein.“
Entwicklungshemmende Rollenverteilung unter den Geschwistern vermeiden
- Unterscheiden Sie zwischen Ihrem Kind und seinem Verhalten. Sagen Sie statt „Du bist heute aber wieder richtig eklig zu deinem Bruder!“ besser: „Wenn du ihm seinen Teddy versteckst, dann finde ich das richtig eklig von dir!“ oder, noch besser: „Ich finde es schade, dass du heute mit deinem Bruder gar nicht auskommst!“ Streichen Sie das Wort „böse“ aus Ihrem Wortschatz, wenn Sie über eines Ihrer Kinder oder sein Verhalten sprechen.
- Auch wenn Sie das Gefühl haben, das ältere Kind kommandiere das jüngere herum: Mischen Sie sich nicht vorsorglich ein. Oft akzeptieren jüngere Kinder bereitwillig die vom älteren Kind aufgestellten Regeln, und solange beide damit zufrieden sind, muss auch nichts geändert werden. Jüngere Kinder geraten bei Spielen häufig ins Hintertreffen, und kein Kind möchte immer der Verlierer sein. Nehmen Sie sich Zeit, mit Ihrem Jüngsten gelegentlich zu spielen, damit es auch mal gewinnen kann.
- Stellen Sie ein begabtes oder besonders folgsames Kind nicht immer als leuchtendes Vorbild heraus. Schnell zieht es sich so den Neid der anderen Geschwister zu und hat dadurch einen schweren Stand. Die anderen Geschwister fühlen sich durch das „Wunderkind“ hingegen ständig entmutigt und unzulänglich.
- Akzeptieren Sie jedes Ihrer Kinder wie es ist. Gerade dann, wenn Sie z. B. immer schon von einem sportlichen Sohn geträumt haben, dieser nun aber eine völlig unsportliche Leseratte ist.
Rollenverteilung zwischen Bruder und Schwester
Auch wenn Sie Söhne und Töchter „gleich“, also unabhängig von ihrem Geschlecht, erziehen wollen: Es wird Ihnen nicht gelingen. Selbst wenn Sie Ihrem Sohn eine Puppe und Ihrer Tochter einen Laster schenken: Schon die Vorliebe für männliches oder weibliches Spielzeug scheint angeboren zu sein. Spielzeug, das nicht der eigenen Geschlechtsrolle entspricht, bleibt häufig unbeachtet in der Ecke liegen. Dieses Phänomen ließ sich auch an Untersuchungen mit jungen Affen bestätigen, die je nach Geschlecht eindeutig männliches bzw. weibliches Spielzeug bevorzugten. Untersuchungen haben folgende Fakten zur geschlechtstypischen Erziehung von Jungen und Mädchen zutage gefördert:
- Mütter sprechen mehr mit ihren Töchtern, besonders mit der ältesten. Mit Söhnen befassen sie sich hingegen mehr auf gezielte Weise, indem sie deren Aufmerksamkeit auf bestimmte Gegenstände oder Ereignisse lenken. Unliebsame Aktivitäten werden bei Söhnen eher unterbunden als bei Töchtern.
- Zwei Buben werden kontrollierender und strenger erzogen als zwei Mädchen. Haben Eltern eine Tochter und einen Sohn, so verbringen sie insgesamt mehr Zeit mit den Geschwistern, erziehen sie jedoch nicht so konsequent wie gleichgeschlechtliche Geschwisterpaare.
- Ist das ältere Kind ein Mädchen, wird es häufig schon früh zur Mitbetreuung des jüngeren Kindes herangezogen, insbesondere wenn dies ein Sohn ist.
- Ein ältester Bruder von weiteren Brüdern wird häufiger bestraft und stärker eingeschränkt als ein ältester Bruder von Schwestern. Insgesamt ist die Rolle des erstgeborenen Sohnes recht undankbar, da dieser meist strenger und härter erzogen wird.
„Emanzipierte“ Geschwister erziehen
Wenn Sie sich der Ungleichheiten zwischen Ihren Kindern bewusst sind, können Sie gezielt gegen die Rollenverteilung gegensteuern:
- Sprechen Sie mehr mit Ihren Söhnen. Lesen Sie ihnen frühzeitig und häufig vor, da Jungen bekanntlich sprachlich weniger gewandt sind. Wie groß dabei der Anteil der geschlechtsspezifischen Erziehung ist, ist bisher allerdings nicht bekannt.
- Ihre Töchter hingegen sollten Sie vermehrt ermutigen, aktiv zu werden. Trauen Sie ihnen mehr als bisher zu und bremsen Sie sie nicht bei wilden Spielen.
- Dass Mädchen von den Eltern genauso geschätzt werden wie Jungen, ist heutzutage fast schon selbstverständlich. Leider sieht es im wirklichen Leben oft noch recht düster mit der Gleichberechtigung aus. In vielen Familien ist die Mutter immer noch die „Dienstleistende“ für alle, denn mehr als 75 Prozent der Arbeit im Haushalt wird von Frauen erledigt. Erziehen Sie Ihre Söhne dazu, im Haushalt zu helfen, während Sie bei Ihren Töchtern naturwissenschaftliche Neigungen und Durchsetzungskraft fördern sollten.
- Streichen Sie bestimmte Sätze aus Ihrem Vokabular. Dazu gehören z. B. Aussagen wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ oder „Sowas tut ein Mädchen nicht!“ Natürlich dürfen auch Jungen weinen. Und Verhaltensweisen, die aus welchen Gründen auch immer nur für Mädchen unpassend sein sollen, entsprechen in der Regel überkommenen Rollenklischees. Warum sollen nicht auch Mädchen mal richtig wütend werden oder sich mal ordentlich schmutzig machen?