Klare Regeln und Grenzen: Wie Eltern Machtkämpfe vermeiden können

Oft ist es für Eltern eine Gratwanderung: Einerseits wollen sie ihr Kind nicht autoritär erziehen, andererseits müssen klare Regeln und Grenzen aber sein. Doch was tun, wenn kleine Dickschädel partout nicht so wollen wie Mama oder Papa? 

Inhaltsverzeichnis

Regeln und Grenzen

Keine Frage, das sind Sie! Trotzdem wird Ihr Kind immer wieder austesten „Wie weit kann ich heute gehen?“ und „Gelten heute die gleichen Regeln wie gestern?“. Dabei kommt es häufig zu kleineren oder größeren Machtkämpfen, die zum Erziehungsalltag dazugehören.

Negative Aufmerksamkeit ist besser als keine

Hand aufs Herz: Wie oft loben Sie Ihr Kind, wenn es ohne Murren abends ins Bett geht? Und wie oft debattieren Sie mit ihm, schimpfen oder ermahnen Sie es, wenn es beim Ausziehen abends trödelt oder sich nicht die Zähne putzen will?

Leider ist es häufig so, dass Eltern Gehorsam als etwas Selbstverständliches ansehen und deshalb erwünschtes Verhalten ihres Kindes zu selten loben. Wenn sich das Kind aber daneben benimmt, ist ihm die volle elterliche Aufmerksamkeit gewiss – und zwar so lange es mit seinem schlechten Betragen weitermacht. Auch wenn es dann geschimpft bekommt oder eine längere „Strafpredigt“ anhören muss – es steht im Mittelpunkt.

So seltsam es klingen mag: Gerade in Phasen, in denen Ihr Kind besonders anstrengend ist und intensiv alle Grenzen austestet, sollten Sie es besonders mit positiver Aufmerksamkeit bedenken. Auch wenn Sie manchmal das Gefühl haben, dass Sie nur noch schimpfen und überhaupt nichts klappt: Ihr Kind wird sich nicht andauernd schlecht benehmen! Suchen Sie gezielt nach positivem Verhalten und belohnen Sie dieses durch ein Lob oder eine anerkennende Geste. Nehmen Sie Ihr Kind besonders oft in den Arm, kuscheln Sie mehr. Unternehmen Sie viel gemeinsam und lassen

Sie Ihr Kind mehr bei der Hausarbeit helfen. Jede Anerkennung und jedes Gefühl, etwas gut gemacht zu haben, sind Schritte in die richtige Richtung. Denn wenn Ihr Kind auf diese Weise mehr positive Aufmerksamkeit bekommt, muss es nicht mehr ständig „nerven“.

Zu viele Grenzen machen bockig

Kinder, die sehr vieles nicht dürfen und einen ganzen Berg von Regeln einzuhalten haben, kommen wesentlich häufiger in die Situation, dass sie eine Grenze übertreten, als Kinder, bei denen nur wenige, aber wichtige Dinge auf der Verbotsliste stehen. Das sagt einem nicht nur der gesunde Menschenverstand, das lässt sich sogar durch Studien belegen. Kinder, deren Wünsche und Bedürfnisse nach Möglichkeit respektiert werden, sind viel eher bereit, sich an Regeln und Grenzen zu halten. Damit Ihr Kind Grenzen bereitwilliger einhält, sollten Sie Folgendes beachten:

  • Klare und verständliche Regeln sind wichtig, jedoch sollten es immer nur so viele Regeln wie unbedingt nötig sein!
  • Erklären Sie Ihrem Kind, warum es etwas tun oder lassen soll! Wenn Regeln nicht willkürlich erscheinen, sondern offensichtlich sinnvoll sind, kann Ihr Kind sich leichter daran halten.Halten Sie sich selbst auch an diese Regeln!
  • Lassen Sie Ihr Kind so oft wie möglich selbst entscheiden oder mitentscheiden. In vielen Dingen müssen Sie als Eltern die Richtung vorgeben, doch können Sie mit Ihrem Kind Bereiche festlegen, über die es selbst bestimmen darf. Das kann z. B. die Kleidung betreffen (so lange es nicht Sandalen im Winter trägt) oder das Privileg, an bestimmten Tagen in der Woche zu entscheiden, was es zum Mittagessen gibt oder wohin der Spaziergang geht.
  • Lassen Sie hin und wieder eine Ausnahme zu! Manchmal sollten Sie ein Auge zudrücken, wenn Ihr Kind sich nicht an bestimmte Regeln hält. Seien Sie nachsichtiger, wenn es beispielsweise krank oder völlig übermüdet ist.
  • Wenn Ihr Kind bestimmte Regeln immer wieder verletzt, sollten Sie sich fragen, ob diese noch angemessen sind oder vielleicht geändert werden können. Ist Ihr Kind vielleicht schon selbstständiger geworden und braucht es in manchen Dingen inzwischen weniger Kontrolle?
  • Fragen Sie Ihr Kind, ob es zu bestimmten „Knackpunkten“ Lösungsvorschläge hat. Sie wollen gerne Ihre Ruhe haben, aber Ihr Kind will unbedingt in voller Lautstärke seine Lieblingskassette hören? Sammeln Sie alle Ideen Ihres Kindes, ohne sie zunächst zu bewerten, und handeln Sie dann gemeinsam eine Lösung aus, die für beide Seiten annehmbar ist. In unserem Beispiel könnte Ihr Kind vielleicht vorschlagen, den Kassettenrekorder mit ins Kinderzimmer zu nehmen, sodass im Wohnzimmer Ruhe herrscht. Sollte Ihr Kind nicht auf eine für Sie akzeptable Idee kommen, können Sie selbst einen Vorschlag machen und fragen: „Was meinst du? Könnte das funktionieren? Sollen wir das mal ausprobieren?“

Warum manche Dinge problemlos funktionieren

Gibt es bei Ihnen einige Regeln, die – trotz sonstiger „Kämpfe“ – recht zuverlässig funktionieren? Welche Regeln sind das? Können Sie diese „Erfolgsrezepte“ auch auf andere Bereiche übertragen? Die Erfahrung lehrt, dass es vor allem zwei Gruppen von Regeln gibt, die – manchmal zum Erstaunen der Eltern – meist gut funktionieren:

  1. Regeln, die Ihnen wirklich wichtig sind, hält Ihr Kind ein. 

    Beispiel: Die meisten Eltern machen bei der Sicherheit ihres Kindes keine Kompromisse. Über die Regel „Kinder müssen im Auto im Kindersitz gesichert werden“ diskutieren sie nicht. Ist das Kind nicht angeschnallt, fahren sie erst gar nicht los. Hängt sich das Kind während der Fahrt ab, fahren sie sofort rechts ran und schnallen es wieder an. Deswegen gibt es mit dem Angurten im Kindersitz nur in den seltensten Fällen Probleme. Bei anderen, nicht „lebenswichtigen“ Dingen sind dieselben Eltern viel weniger konsequent, und deshalb funktionieren diese oft längst nicht so gut.
  2. Regeln, die zur festen Gewohnheit geworden sind, werden nicht mehr ausgetestet.

    Beispiel: Bei Familie X ziehen alle Familienmitglieder die Straßenschuhe immer im Flur aus und betreten die Wohnung nur mit Hausschuhen. Die Kinder kennen es nicht anders und stellen diese „eherne Regel“ auch nicht in Frage. Ganz gleich, ob Machtkampf oder nicht, die Straßenschuhe bleiben im Flur. Wenn Sie es mit viel Beharrlichkeit und Konsequenz schaffen, auch andere Dinge wie das Händewaschen vor dem Essen oder das Zähneputzen zur festen Gewohnheit werden lassen, gibt es auch darum keine Kämpfe mehr, weil Ihrem Kind diese Dinge quasi in Fleisch und Blut übergegangen sind.

Mein Tipp: Kennen Sie den kleinen Kobold Pumuckl, der den Meister Eder immer wieder mit unverrückbaren Tatsachen konfrontiert? „Uraltes Koboldsgesetz!“ nennt er das dann. Stellen Sie mit Ihrem Kind doch auch ein paar „uralte Familiengesetze“ auf, die Sie mit Ihrem Familiennamen „garnieren“ können. Bei Familie Huber wäre das entsprechend ein „uraltes Huber-Gesetz“. Wetten, dass sich Ihr Kind gleich viel leichter an so eine Regel halten kann?

Bringen Sie Ihr Kind dazu, es selbst zu wollen

Wie schaffen Sie es, dass Ihr Kind sich an Regeln hält und nicht jedes Mal wieder austestet, ob es nicht doch auch anders geht? Womöglich sogar, ohne dass Sie es ständig kontrollieren? Was Drohungen und Strafen nicht bewerkstelligen, geht fast wie von selbst, wenn Ihr Kind motiviert ist. Das Geheimrezept der Erziehung lautet also: Bringen Sie Ihr Kind dazu, es selbst zu wollen! Hier ein paar Tricks, wie Sie Ihrem Kind Aufgaben und Regeln schmackhaft machen können:

  • Stellen Sie das Besondere heraus. Zweifeln Sie daran, ob Ihr Kind einen „Auftrag“ überhaupt ausführen kann, und lassen Sie sich dann das Gegenteil beweisen. Manchmal hilft auch ein Wettlauf. Betonen Sie, dass das nur was für „große Kinder“ ist, oder spornen Sie Ihr Kind an, indem Sie ihm sagen: „Niemand macht das so toll wie du!“ – am besten mit einem Erfolgsbeispiel aus der Vergangenheit, als es etwas besonders gut gemacht hat.
  • Nutzen Sie den „Reiz des Verbotenen“. Zögern Sie merklich, bevor Sie Ihrem Kind eine Anordnung erteilen: „Nein, das sollte ich wohl besser selbst erledigen!“ Oft kommt dann ein begeistertes „Das mach ich schon für dich – ich kann das!“
  • Erhöhen Sie den Spaßfaktor. Aufräumen zu flotter Musik oder im Tanzschritt geht gleich viel leichter von der Hand. Singen Sie oder erzählen Sie Ihrem Kind etwas – aber nur solange Ihr Kind mithilft. Machen Sie aus alltäglichen Dingen eine geheimnisvolle Sache. Vielleicht helfen Zauberschuhe, wenn Ihr Kind kurz davor ist, sich hinzuwerfen, weil es nicht mehr weitergehen will?
  • Machen Sie Ihrem Kind die Vorteile klar. Wenn Ihr Kind beim Aufräumen hilft, sind Sie beide schneller fertig, und Sie können ihm noch etwas vorlesen. Oft hilft auch eine kleine Belohung.
  • Schlüpfen Sie im Rollenspiel in die Haut des anderen. Ihr Kind kann Mutter oder Vater spielen und Sie sind das bockige Kind. Wie würde Ihr Kind als Mutter oder Vater reagieren? So können Sie etwas darüber lernen, wie Ihr Kind „tickt“ und wie es behandelt werden möchte. Ihr Kind kann sich vielleicht ein wenig einfühlen, wie schwierig es ist, mit einem kleinen „Böckchen“, das immer etwas anderes will, umzugehen.
  • Wenn gar nichts hilft: Lassen Sie logische Folgen wirken. Wenn Ihr Kind die Konsequenzen seines Verhaltens selbst zu tragen hat, klappt vieles schon nach kurzer Zeit besser. Beispiel Aufräumen: Statt immer wieder – erfolglos – zu ermahnen, packen Sie jeden Abend am Boden herumliegendes Spielzeug einige Tage oder eine Woche lang weg. Wenn nach ein paar Tagen das Kinderzimmer recht leer aussieht, wird Ihr Kind vermutlich bereit sein aufzuräumen.

Erste Hilfe bei einem drohenden Machtkampf

Prinzipiell sollten Eltern Wort halten. Das bedeutet auch, dass eine angedrohte Konsequenz bei Fehlverhalten wirklich eintritt oder dass ein Nein tatsächlich ein Nein bleibt, auch wenn das Kind deshalb einen Wutanfall bekommt. Oft ist es aber bei akuten Machtkämpfen sinnvoller, sich elegant aus der Konfrontation zurückzuziehen, sodass es auf beiden Seiten keinen Verlierer gibt.

  • Zeigen Sie Verständnis: „Ich wusste gar nicht, dass dir das so wichtig ist.“ Vermutlich wird Ihr Kind überrascht sein, dass Sie das Problem nicht auf die „sture Tour“ durchziehen. Fragen Sie, warum es Ihrem Kind so wichtig ist, seinen Kopf durchzusetzen. Vielleicht können Sie sich dann auf einen der folgenden Punkte einigen.
  • Eine Ausnahme machen: Ihr Kind will partout nicht in den Kindergarten? Sie können ihm einmal (nicht immer wieder!) zugestehen, dass es daheim bleibt. „Jeder braucht mal eine Pause, aber morgen gehst du wieder hin, abgemacht!?“
  • Einen Kompromiss schließen: Ihr Kind weigert sich, beim Heimkommen vom Spielplatz das eine Stockwerk bis zur Wohnungstür hochzugehen? Bieten Sie ihm an: „Ich trag dich zwei Stufen hoch, dann gehst du drei Stufen selber, dann trag ich dich wieder usw.“
  • Machen Sie es wie die Sportler und nehmen Sie eine Auszeit: Wenn Sie und Ihr Kind nicht weiterkommen, unterbrechen Sie doch den Machtkampf, indem Sie zunächst etwas anderes vorschlagen und das strittige Thema ruhen lassen. Vielleicht entwickelt sich mit der Zeit sogar ein richtiges Ritual daraus: Erst machen wir uns beide eine Tasse „Abregungstee“, vielleicht Rotbuschtee mit Milch und Kandiszucker (der knistert so geheimnisvoll in der Tasse, wenn man ihn mit heißem Tee übergießt), und dann reden wir in Ruhe darüber.