Was Kinderbilder über Ihr Kind verraten

Wenn Kinder malen, ist das nicht nur Ausdruck ihrer Schaffensfreude. In jedem Bild stecken auch Erlebnisse und Gefühle Ihres Kindes drin. Wenn Sie aufmerksam hinsehen, können Sie dabei einiges über Ihr Kind erfahren. 

Inhaltsverzeichnis

Kinderbilder richtig interpretieren

In Kinderbildern offenbaren Kinder ihre Seele, und es ist durchaus sinnvoll, das Geschehen auf Bildern sensibel zu betrachten und vorsichtig(!) zu interpretieren. Zu eng sollten Sie die Interpretation der Gemälde Ihres Kindes allerdings nicht sehen und immer auch die Hintergründe beachten. Malt Ihr Kind z. B. ein ganzes Bild nur in Schwarz, könnte der Grund einfach darin liegen, dass gerade alle anderen Stifte abgebrochen sind und erst wieder gespitzt werden müssen! Auch müssen nicht alle Zeichnungen Ihres Kindes eine tiefe Bedeutung enthalten. Kinder malen aus Freude an der Bewegung, aus der Lust heraus, Spuren zu hinterlassen, oder weil es im Moment nichts anderes zu tun gibt.

Mein Tipp: Lassen Sie Ihrem Kind beim Malen und Zeichnen möglichst viel Raum für eigene Ideen, um die Freude am Malen nicht zu stören. Malbücher und Schablonen sind unnötig, denn vorgezeichnete Motive behindern die kindliche Fantasie nur! Falls Ihr Kind aber von sich aus gerne ausmalt, dürfen Sie ihm zwischendurch gelegentlich ein Malbuch anbieten.

Wie Kinder malen

Um einschätzen zu können, was und wie Ihr Kind in welchem Alter malt, ist es wichtig für Sie, die Phasen der Malentwicklung bei Kindern zu kennen (siehe Tabelle im Premiumteil).

Hören Sie beim Malen Ihrem Kind zu …

Ja, Sie haben richtig gelesen! Auch wenn es um Bilder geht, sollten Sie nicht nur hinsehen, sondern auch hinhören. Denn Kindergartenkinder kommentieren sehr häufig den Entstehungsprozess ihres Bildes in einer Art Selbstgespräch. Dazu können Sie Ihr Kind während des Malens schweigend beobachten und einfach nur zuhören. Geben Sie höchstens einige aufmunternde Worte von sich wie „ah ja“ oder „aha“, um Ihr Kind zum Weitererzählen zu ermuntern. Der „Werdegang“ eines Kinderkunstwerks könnte z. B. so aussehen: Ihr Kind malt einen Strich und nennt diesen einen Baum oder eine Blume, ein Quadrat könnte als Auto bezeichnet werden. Vielleicht überkritzelt Ihr Kind das Quadrat anschließend wieder und kommentiert, das Auto sei jetzt gerade weggefahren. Vielleicht ändert sich auch das Thema der Zeichnung beim Zeichnen ganz spontan: Die Striche, die ursprünglich Bäume waren, stellen eine Weile später Menschen dar – eine Familie mit Mutter, Vater und Kindern. Damit die Kinder Ball spielen können, malt Ihr Kind noch einen Kreis mitten aufs Blatt, den Ball. Vielleicht bekommt die Familie auch noch ein Haustier dazu, und der ehemalige „Ball“ wird mit vier Beinen ausgestattet. Auch diese Tierfigur ist wandlungsfähig: Mit zwei Hörnern wird daraus flugs eine Ziege auf einer Blumenwiese, mit einem Schwanz hingegen entsteht ein Hund, den einer der Menschen auf dem Bild an der Leine spazieren führen kann.

Seien Sie an den Zeichnungen interessiert, aber sagen Sie auch nicht zu viel

Sind Sie bei der Entstehung des Werkes nicht dabei, können Sie Ihr Kind auch nach seinem Bild fragen – aber bitte vorsichtig und nicht drängend! Welche Geschichte hat es mit dem Bild „aufgeschrieben“? So erfährt Ihr Kind, dass Sie an der Entstehungsgeschichte und der Botschaft, die das Bild ausdrücken soll, interessiert sind. Diese Frage verhindert auch, dass Ihr Kind das Gefühl bekommt, Sie könnten die dargestellten Dinge und Menschen nicht erkennen. Falls Ihr Kind mit seinem Bild gar nichts Bestimmtes darstellen wollte oder es im Moment nicht erklären kann, können Sie es mit Bemerkungen wie „Oh, sind das aber schöne Farben“ oder „Ich sehe ganz viele Kreise und Zacken auf deinem Bild“ ermutigen, noch etwas dazu zu sagen.

Mein Tipp
Fragen Sie Ihr Kind nicht „Was hast du gemalt?“, sondern bitten Sie: „Erzähl mir was zu deinem Bild“. Bitten Sie Ihr Kind, zu Erlebnissen, die es Ihnen erzählt hat, auch noch ein Bild zu malen, z. B.„Kannst du mir ein Bild von eurem Kindergartenausflug malen?".

Kinder malen die Welt, wie sie sie verstehen

Kinder haben eine individuell unterschiedliche Wahrnehmung. Was sie auf ihren Bildern darstellen, ist vor allem in der Kindergartenzeit keine realistische Abbildung der Wirklichkeit. Jedes Kind hat seine eigene Wirklichkeit, die es darstellt. Und die Bedeutung einzelner Gegenstände oder Gliedmaßen wird durch besondere Farbgebung oder Größe unterstrichen. Auch die Reihenfolge der Zeichnung und die Platzierung haben eine unterschiedliche Bedeutung. Alles, was einem Kind wichtig ist, wird auch in seinen „Gemälden“ auftauchen.

Motive, die beim Zeichnen immer wieder auftauchen

Kinder im Kindergartenalter malen vor allem Häuser, Bäume, Blumen, Tiere und Menschen: Kreise oder auch „Kopffüßler“: Der Kreis steht für den Menschen, von dem Arme und Beine als Striche abgehen.

Tiere: Mit ungefähr fünf Jahren beginnen Kinder, Tiere zu zeichnen, die anfangs von Menschen nicht zu unterscheiden sind – meist ein runder Kopf mit Haaren, Nase, Augen und Mund. Je älter das Kind wird, umso differenzierter werden die Einzelheiten.

Häuser: Im Vorschulalter sind sie wichtige Symbole für Geborgenheit.

Bäume: Die ersten Bäume erinnern an armlose Menschen. Mit ungefähr vier Jahren werden sie dann detaillierter gezeichnet. Bäume und Blumen stehen für die lebende Kreatur.

Blumen: Sie sehen aus wie Sonnen, und der Blütenkopf bekommt manchmal Augen.

Fahrzeuge: Sind oft erst durch Hinweise des Kindes als solche zu erkennen. So wird ein Rechteck mit zwei Knäueln darunter als Auto bezeichnet. Auch Autos stehen für Geborgenheit, sind sie für Kinder doch „Häuser auf Rädern“.

Wie ein Kind die Symbole verwendet und ausschmückt, sagt etwas über seine Gefühle aus. Wie und mit welchen Farben malt es Häuser, Natur und Menschen? Regnet es, oder scheint die Sonne? Wird das Bild ausgeschmückt, oder erscheint es leer?

Achten Sie in den Zeichnungen Ihres Kindes darauf, wie sich Ihr Kind selber wahrnimmt

Die wichtigste Frage, die Zeichnungen Ihres Kindes beantworten kann, ist die Frage, wie Ihr Kind sich selbst wahrnimmt. Ist es im Mittelpunkt oder am Rande, malt es sich genauso groß wie andere Personen auf dem Bild, kleiner oder größer? Welche Farben verwendet es für die eigene Darstellung, wie steht es in Beziehung zu anderen Personen oder Gegenständen? Schüchterne Kinder malen sich anders als selbstbewusste. Kinder, die sich in ihrer Familie wohl fühlen, werden in den Mittelpunkt gemalt, Kinder, die keine Freunde haben, malen sich eventuell mit bestimmten Gegenständen oder Pflanzen bzw. Tieren, die ihnen „nahestehen“. Kinder, die sich bedroht fühlen, zeigen das auch in ihren Bildern. Blitz und Donner gehen auf die eigene Person herab, sie wird in bedrohlichen Farben dargestellt oder zeigt einen ängstlichen Gesichtsausdruck. Oft bekommt sie auch gar kein Gesicht. Weil Kinder im Kindergartenalter sehr auf die eigene Person fixiert sind, wird ihre Darstellung oft liebevoll ausgeschmückt, mit wichtigen Utensilien versehen und erscheint im Mittelpunkt des Bildes. Welche Körperteile werden besonders liebevoll dargestellt? Sind es die Haare oder die neuen Schuhe?

Was die Zeichnungen über Ihr Kind verraten

Wenn Sie mehr über ein Bild Ihres Kindes erfahren wollen, lassen Sie es zuerst etwas auf sich wirken. Was fällt als Erstes auf? Wirkt das Bild z. B. fröhlich oder eher traurig? Ist das ganze Blatt ausgefüllt, zeigt das an, dass das Kind gerne malt und meist auch mit sich und der Welt zufrieden ist. Gibt es ein Thema, das Ihr Kind immer wieder malt? Das zeigt an, dass Ihr Kind sich derzeit besonders dafür interessiert bzw. damit beschäftigt. Oft werden die Motive auch durch das Umfeld bestimmt. Zeichnen die anderen Kinder im Kindergarten gerade Drachen? Oder wird in der Nachbarschaft momentan gebaut, sodass immer wieder Kräne, Laster und Bagger auf den Bildern zu sehen sind? Malt ein Kind vorwiegend gefährliche Saurier und Säbelzahntiger, wünscht es sich vielleicht deren Kraft und Macht. Autos und Waffen können den Wunsch nach Kontrolle ausdrücken. Prinzessinnen wollen gefallen und beliebt sein. Zeichnungen können Hinweise auf eine Entwicklungsstörung geben, wenn z. B. eine Malphase (siehe Tabelle), der das Kind längst entwachsen sein sollte, auffällig lange beibehalten wird.

Auch psychische Probleme können sich in Kinderbildern darstellen, wenn z. B. die Personen und Gegenstände auf den Bildern keinen Bezug zueinander haben, wie beispielsweise einen gemeinsamen Hintergrund. Wenn das Bild unterteilt wird oder wenn fortwährend Bilder ohne Boden gemalt werden, kann dies auf fehlende Bindung hinweisen. Je nachdem, wie groß Menschen gemalt werden, wie sie angeordnet sind, welche Farbe das Kind für sie wählt und wie der Gesichts- und Körperausdruck ist, kann es damit Hinweise auf seine Beziehung zu diesen Personen ausdrücken.

Wichtig bei Zeichnungen Ihres Kindes: Auch wenn Zeichnungen auf Probleme Ihres Kindes hinweisen können, sollten Sie die Bilder nicht überinterpretieren. Falls ein Kind aber monatelang immer nur in Schwarz malt, sich in Familienzeichnungen immer selbst weglässt oder ein Fünfjähriger nur völlig ungeordnet kritzelt, sollte man das ernst nehmen. Bitte wenden Sie sich in solchen Fällen an Ihren Kinderarzt oder einen Kinderpsychologen. Stellen Sie keine Selbstdiagnose! Bitte weisen Sie Ihr Kind nie direkt auf die von Ihnen vermutete Problematik hin, und drängen Sie es nicht, die in seinen Zeichnungen vermuteten Probleme auszusprechen.