Fairness, Respekt und Mitgefühl: Wie wird mein Kind ein guter Mensch?

Werte wie Ehrlichkeit, Respekt und Verantwortungsgefühl sind wieder „in“. Einer Umfrage des Allensbach-Instituts zufolge legen zwei Drittel aller Eltern großen Wert auf die Vermittlung von Werten. Doch wie lernen die Kleinen, was richtig und was falsch ist?  

Inhaltsverzeichnis

Werte vorleben

Wenn ein Kindergartenkind andere ohne Skrupel von der Schaukel schubst, um endlich selbst dran zu sein, oder ein Kleinkind dem anderen im Sandkasten rabiat das Schäufelchen aus der Hand reißt, wird es Eltern manchmal angst und bang. Sie legen Wert darauf, dass ihr Kind andere respektiert, Konflikte mit Worten statt mit Schlägen austrägt und auch einmal zurückstecken kann. Doch das erfordert geduldiges Üben, denn …

Viele Kinder sind anfangs „kleine Egoisten“

Kleinkinder können anfangs nur ihre eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und können sich noch nicht in andere einfühlen. Jüngere Kinder sind noch nicht in der Lage, zwischen „mein“ und „dein“ zu unterscheiden. Wenn ein Kleinkind versucht, die Welt kennen zu lernen, kann es das nur, indem es so tut, als sei alles seins. In den ersten Lebensjahren ist das, was seine Bedürfnisse befriedigt, ihm am meisten Spaß macht und seinen Interessen entgegenkommt, das wichtigste Auswahlkriterium. Trotzdem gibt es schon bei den Kleinsten Unterschiede im Sozialverhalten.

Der Gerechtigkeitssinn ist bei Kleinkindern unterschiedlich ausgeprägt

Eine Studie mit 47 Kleinkindern im Alter von 15 Monaten zeigte, dass die Kleinen bereits einen Sinn für Gerechtigkeit entwickeln können. Den kleinen Versuchsteilnehmern wurden zwei Videos gezeigt, in denen zwei Personen etwas zu essen bekamen. In einem Video wurde gerecht geteilt, im anderen bekam eine Person deutlich mehr als die andere. Einige Kinder blickten länger auf die Szene, in der die Ungleichbehandlung gezeigt wurde – ein Zeichen dafür, dass sie überrascht waren und offenbar eine gerechte Aufteilung erwartet hatten. Danach boten die Forscher den Kindern zwei Spielzeuge an und beobachteten, nach welchem sie zuerst griffen. Dieses werteten sie als „bevorzugtes“ Spielzeug. Danach fragten sie die Kinder, ob sie eines der Spielzeuge haben dürften. Ein Drittel der Kinder gab das bevorzugte Spielzeug her, ein weiteres Drittel das andere (weniger attraktive) und der Rest wollte gar kein Spielzeug abgeben. Von den Kindern, die das bevorzugte Spielzeug abgaben, waren 92 Prozent auch besonders überrascht gewesen, dass das Essen nicht gerecht verteilt worden war. Offenbar zeigen sich bereits im Kleinkindalter individuelle Unterschiede in Fairness und Großzügigkeit. Kinder, die auf Ungerechtigkeit (in der Essensverteilung) besonders sensibel reagierten, waren auch großzügiger und freigebiger (indem sie ihr bevorzugtes Spielzeug mit anderen teilten). Unklar ist bislang noch, ob die Neigung zu Altruismus ein angeborener Charakterzug ist oder aber bereits in diesem Alter „anerzogen“ sein kann.

Die Entwicklung von Moral und Gewissen

Schon Babys zeigen Mitgefühl, etwa, indem sie sich vom Weinen anderer Babys anstecken lassen. Sie freuen sich mit, wenn jemand in ihrer Gegenwart lacht. Kleinkinder ab dem Alter von zwei Jahren können andere trösten. Ein Kind, das gestürzt ist, wird beispielsweise gestreichelt. Oder die Kleinen bieten als Trost ihr Kuscheltier an. Kinder ab drei Jahren wissen, dass sie Spielzeug oder Süßigkeiten mit anderen teilen sollten. Die Kompetenz, sich mitfühlend und uneigennützig zu verhalten, ist bereits vorhanden, jedoch mit der Umsetzung hapert es noch – das ist auch bei Kindern von etwa vier Jahren nicht anders. In diesem Alter wissen 98 Prozent aller Kinder, dass man nicht stehlen darf. Die meisten Kinder sind sich auch bewusst, dass es nicht richtig ist, andere zu verletzen oder zu lügen. Trotzdem wird geschummelt und getrickst, wenn einem dies einen Vorteil verschafft. Manchmal handeln die Kleinen auch aus der Not heraus „unmoralisch“: Sie lügen, um einer Bestrafung zu umgehen oder werden handgreiflich, wenn ein anderes Kind ihr Spielzeug haben will, weil sie noch nicht in der Lage sind, Konflikte friedlich zu lösen. Manchmal geraten Kinder durch spontane Einfälle oder pure Neugier in fragwürdige Situationen, weil sie sich und ihre Umwelt austesten wollen. Häufig steckt hinter „unmoralischem“ Verhalten gar keine böse Absicht. Erst die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, führt dazu, dass sich Werte wie Fairness, Respekt vor anderen und deren Eigentum, Wahrhaftigkeit, Friedfertigkeit oder Mitgefühl entwickeln. Ein mitfühlendes Kind wird mehr und mehr versuchen sich so zu verhalten, dass es keinem anderen absichtlich Schaden zufügt bzw. Kummer macht.

Übertreiben Sie: So lernt Ihr Kleinkind Mitgefühl

In unserem Gehirn gibt es eine besondere Sorte Nervenzellen, die so genannten Spiegel-Neuronen, die es uns ermöglichen, Gefühle anderer Menschen mitzuempfinden. Wenn wir bei anderen eine Gefühlsregung beobachten, ruft das in unserem Gehirn reflexartig dieselben Erregungsmuster hervor wie bei unserem Gegenüber. Das funktioniert schon bei Säuglingen. Sie ahmen z. B. eine emotional ausdrucksstarke Mimik ihrer Bezugsperson spontan nach. Über diese Spiegel-Neuronen kann Ihr Kleinkind mit Ihrer Hilfe entdecken, dass andere Menschen dieselben Gefühle haben wie es selbst. Sie erreichen das dadurch, dass Sie übertrieben „emotional“ auf negatives Verhalten Ihres Kindes reagieren. Wenn Ihr Kind Sie z. B. schlägt, dann reagieren Sie sehr deutlich (für Ihren Geschmack vermutlich schon übertrieben) auf das Ihnen zugefügte Leid, das Sie dadurch Ihrem Kind „spiegeln“.

Beispiel: Lena (zwei Jahre alt) haut ihrer Mutter mit einer Plastikpuppe auf den Arm. Die Mutter sollte nun nicht wütend werden und schimpfen, sondern ihren Schmerz leicht übertrieben zeigen, also z. B. den getroffenen Arm halten, erschrocken und betrübt dreinblicken und dazu sagen: „Au! Das tut aber weh!“ Nach kurzer Zeit wird Lena ebenfalls eine ähnliche Miene machen. Sie kann nun die Gefühle der Mutter nachfühlen, also quasi am eigenen Leib erleben. So begreift sie, dass ihr Handeln anderen „Schaden“ zufügen kann.

Vielleicht nicht beim ersten Mal, aber mit der Zeit beginnen die Kleinen als Reaktion auf das erlebte „Mit-Leid“ automatisch, den „Verletzten“ zu streicheln und zu trösten. Genau diese Reaktion ist erwünscht, denn das Trösten löst großen Stolz beim Kind aus. Dieser Stolz stärkt einerseits das Selbstbewusstsein und ist andererseits die Triebfeder dafür, dass sich das Kind in ähnlichen Situationen wieder mitfühlend verhält. So kann es sich bald auch in andere Kinder besser einfühlen.

Wichtig:

Stellen Sie Ihre Gefühle nur in übertrieben deutlicher Form dar. Sie sollten Ihrem Kind keine Schuldgefühle machen („Jetzt hast du die Mama traurig gemacht!“) und auch sofort positiv und deutlich „gebessert“ auf Tröstungsversuche reagieren. Es ist nicht sinnvoll, dass Sie Ihrem Kind Ihre Gefühle mit Worten erklären, denn die würde es noch gar nicht verstehen können.