Väterliches Sorgerecht
Bin ich eine Rabenmutter?
Tom und Mareike haben zwei gemeinsame Kinder. Sie sind eine Familie. Doch irgendwann haben sie sich auseinandergelebt. Tom und Mareike lassen sich scheiden. Beide eignen sich einvernehmlich darauf, dass die Kinder zu Mareike ziehen sollen. Da Tom ein lukratives Arbeitsangebot in den USA angenommen hat, verzichtet er auf das gemeinsame Sorgerecht und überlässt Mareike das alleinige Sorgerecht für die Kinder. Das hat für sie den Vorteil, dass sie bei einer wichtigen Entscheidung, wie Schulwechsel, Umzug, oder einer notwendig gewordenen Operation nicht auf die Zustimmung des Ex-Partners angewiesen ist. Mareike findet es gut, dass sie das alleinige Sorgerecht hat und niemand nimmt daran Anstoß, dass sich der Vater nur selten meldet.
Nur manchmal fragt eine Freundin, oder eine Verwandte nach dem Kindsvater. Wenn sie dann antwortet: „Der hat sich schon lange nicht mehr blicken lassen.“, zuckt die Fragestellerin nur mit den Schultern und meint: „Typisch Mann!“
Ähnliche Scheidung, andere Auswirkungen
Eigentlich liegt bei Martin und Leonie der Fall ganz ähnlich. Auch sie haben sich nach einigen Ehejahren scheiden lassen. Die Familie hat ebenfalls zwei Kinder. Bei der Frage nach dem künftigen Wohnort der Kinder, konnten sie sich ebenfalls schnell einigen. Trotzdem sind sie der Mittelpunkt vieler Tratschgeschichten und die Verwandtschaft lässt kein gutes Haar an Leonie. Selbst ihre Freundinnen beäugen sie misstrauisch.Der Grund dafür ist, dass die Kinder jetzt bei Martin leben. Leonie hat sich dafür entschieden, ein lukratives Arbeitsangebot anzunehmen, das sie zwingt, andauernd in der Welt herumzureisen. Deshalb hat sie beschlossen, Martin das alleinige Sorgerecht zu überlassen. Wenn sie von ihren beruflichen Reisen nach Hause kommt, besucht sie ihre Kinder. Sie kochen zusammen, sie holt sie von der Schule ab und sie gehen gemeinsam ins Kino. Leonie versucht trotz allem den Kontakt zu ihren Kindern nicht zu verlieren, außerdem zahlt sie regelmäßig Unterhalt und kümmert sich soweit es geht um die Beiden. Trotzdem stößt sie bei allen Freunden und Bekannten nur auf Unverständnis. „Rabenmutter“ tuscheln die meisten.
Deshalb sieht Leonie viele ihrer früheren Freunde kaum noch. Sie hat sich einen neuen Freundeskreis aufgebaut. Doch ein schales Gefühl bleibt. Ist sie wirklich eine Rabenmutter?
Das klassische Familienbild überwiegt noch immer
In Deutschland gehören zum Bild einer Familie nach wie vor Vater und Mutter, sowie die Kinder. Trennen sich die Eltern ist es für die meisten Menschen selbstverständlich, dass sich die Mutter um ihren Nachwuchs kümmert. „Ein Kind gehört zur Mutter“, diesen Satz hört man oft und er ist auch noch heute Grundlage unserer Rechtsprechung, wenn es in komplizierten Verhandlungen um die Sorgerechtsfrage geht.
Wenn eine Mutter also freiwillig auf ihr Sorgerecht verzichtet, trifft sie dabei auf wenig Verständnis.
Doch muss sich eine Mutter wirklich als Rabenmutter fühlen, wenn sie auf ihr Sorgerecht verzichtet?
Das Kindeswohl kennt keine Vorurteile
Eine gute Mutter hat das Wohl ihres Kindes im Auge. Wenn sie also sicher sein kann, dass es ihren Kindern beim Vater genauso gut geht, wie es ihnen bei ihr gehen würde, spricht nichts dagegen. Doch das Wohl des Kindes sollte ihre Richtschnur sein. Wenn sich die Kinder beim Vater wohl fühlen und der Vater in der Lage ist, den Kindern auch emotional ein sicheres Zuhause zu bieten, sind sie bei ihm gut aufgehoben.
Wer die Diskussion um das Sorgerecht führt, ohne emotional eine vorher festgelegte Position einzunehmen, wird zu dem Ergebnis kommen, dass die optimale Unterbringung der Kinder nicht vom Geschlecht der Betreuungsperson abhängt, sondern insbesondere davon, wie diese Person mit den Kindern umgeht.
Das alleinige Sorgerecht können Mutter und Vater jeweils gleich gut ausüben. Wenn der Vater sich von der Ausübung distanzieren kann, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, dann steht dieses Recht der Mutter genauso zu.
Gemeinsame Verantwortung übernehmen
Ein optimaler Umgang mit dem Sorgerecht bestünde darin, dass beide Partner den anderen in Erziehungsfragen nicht ausgrenzen, sondern dass beide auch in der Trennungssituation eine gemeinsame Erziehungsverantwortung übernehmen. Denn sowohl für Mütter als auch für Väter gilt: sie stehen ihrem Kind gegenüber in der Pflicht Erziehungsarbeit zu leisten. Beide können ihre berufliche Karriere nicht vorschieben, sondern müssen zuallererst zum Wohle des Kindes handeln. Dazu gehört, dass einer die Hauptverantwortung trägt und das Kind mit Wohnung und Nahrung versorgt, aber dass der andere hinzugezogen werden kann und dass er bereit steht, wenn er gebraucht wird.
Wenn eine Mutter es zulässt, dass ihre Kinder beim Vater wohnen, macht sie das nicht zur Rabenmutter. Wenn sie also abrufbereit ist und dem Kindsvater bei Erziehungsfragen zur Seite steht, vor allem, wenn es um Probleme geht, dann muss sie sich genauso wenig irgendetwas vorwerfen, wie sich der Vater etwas vorwerfen muss, wenn die Kinder bei der Mutter wohnen.