So fördern Sie den Gleichgewichtssinn Ihres Kindes

Kinder mit einem ausgeprägten Gleichgewichtssinn zeigen nicht nur eine bessere Motorik und Koordination. Meist tun sie sich auch in der Schule beim Rechnen und Lesen leichter. Gute Gründe also, durch viel Bewegung von Anfang den Gelichgewichtssinn zu trainieren! 

Inhaltsverzeichnis

Bewegung für einen besseren Gleichgewichtssinn

Der Gleichgewichtssinn führt ein rechtes Mauerblümchendasein, obwohl er den Grundstein für die Entwicklung vieler körperlicher, geistiger und sozialer Fähigkeiten darstellt.

Das Ohr: Organ für unseren Gleichgewichtssinn

Egal, welche Bewegung wir machen – ob springen, rennen, drehen oder rollen – ohne Gleichgewichtssinn läuft nichts! Auch wenn es spielend leicht aussieht, unser Körper vollbringt jedes Mal eine Meisterleistung. Alleine schon der aufrechte Gang erfordert jede Menge an Abstimmung zwischen Körper und Gehirn.

Sicher zu gehen und zu stehen ist nur möglich, weil das Gleichgewichtssystem jede Bewegung von Kopf und Körper registriert und sofort Ausgleichsbewegungen veranlasst, die uns in der aufrechten Position halten. Dafür haben wir in jedem Innenohr ein Gleichgewichtsorgan. Seine Sinneszellen registrieren die kleinste Erschütterung oder Bewegungsänderung und leiten diese Information ans Gehirn weiter. In der Schaltzentrale Gehirn werden diese Informationen mit anderen Sinneseindrücken verglichen und entsprechend verarbeitet. Sehen und Hören liefern wichtige Informationen, doch auch der Tastsinn (z. B. der Fußsohlen) oder Daten aus dem Körperinneren werden berücksichtigt. So weiß das Gehirn ganz genau, welcher Muskel in Bewegung ist oder welche Sehne gerade angespannt wird. Je nachdem, was die Rezeptoren in den Gelenken, Muskeln, Sehnen und Bändern ans Gehirn melden, gibt dieses sofort das Kommando für eine ausgleichende Reaktion.

Gleichgewichtsinn in Mamis Bauch trainieren

Das Gleichgewichtssystem arbeitet schon vor der Geburt auf Hochtouren und hilft dem Ungeborenen, die Bewegung der Mutter auszubalancieren. Für die optimale Entwicklung braucht also schon das Baby im Bauch viele Reize. Die bekommt es normalerweise ganz automatisch, wenn sich die werdende Mutter ausreichend bewegt. Muss eine Schwangere wegen der Gefahr einer Frühgeburt jedoch viel und lange liegen, haben die Kleinen nach der Geburt oft einen gewissen Nachholbedarf was den Gleichgewichtssinn betrifft, weil das Gleichgewichtssystem nicht ausreichend stimuliert wurde.

Viel Bewegung verbessert den Gleichgewichtssinn

Bei einem Baby können Eltern durch sanftes Wiegen oder Schaukeln, Tragen oder auch schwungvolles Tanzen und Schwingen den Gleichgewichtssinn ansprechen. Kleinkinder üben sich im Laufen, an Ballspielen oder im Klettern, später kommen dann Schaukeln, Hüpfen und der Bewegungsspaß auf Rädern (z. B. Bobbycar, Dreirad, Roller, Fahrrad, Rollschuhe) hinzu.

Gesunde Kinder sind ständig damit beschäftigt, neue Herausforderungen für Motorik und Koordination und somit auch für ihr Gleichgewicht zu finden: Sie schlagen Purzelbäume, wippen und schaukeln mit Begeisterung, klettern über Mauern, springen über Gräben, balancieren auf der Bordsteinkante, drehen sich so lange im Kreis, bis sie einen „Drehwurm“ bekommen und sind überhaupt ständig in Bewegung. Wenn alles prima klappt, suchen sie sich eine neue Beschäftigung oder erhöhen den Schwierigkeitsgrad. So lernen die Kleinen durch die Bewegung ständig hinzu.

Fatal hingegen wirkt sich der inzwischen weit verbreitete Mangel an Bewegung aus. Es gibt drei Gründe, warum die Kinder von heute zu wenig Bewegung haben:

  • Häufig fehlt genügend Platz zum Spielen und Toben. Auch regelmäßige Spaziergänge im Wald oder am Strand oder Barfußlaufen auf der Wiese werden immer seltener. Und wo kann ein Kind noch uneingeschränkt mit dem Fahrrad herumflitzen?
  • Fernseher und PC gehören zu den Lieblingsbeschäftigungen der Kids und „nageln“ die Kleinen in schlechter Haltung auf Stuhl oder Sofa fest.
  • Problematisch ist manchmal auch die Besorgnis der Eltern. Wenn Erwachsene ein Kind immer wieder aus Angst oder Sorge bremsen, kann es seine Bewegungskoordination nur unzureichend trainieren. Es erlebt häufiger Misserfolge, sein Selbstwertgefühl schwindet. Vielleicht will es irgendwann gar nichts Neues mehr ausprobieren und wird so im schlimmsten Fall zum Tollpatsch und Außenseiter.
  • Weil aber das Gleichgewichtssystem viele Bewegungsreize braucht, bis seine Entwicklung etwa im elften Lebensjahr mit Erreichen der Hirnreife abgeschlossen ist, sieht es schon heute manchmal schlecht aus. Bei der Schuleingangsuntersuchung fällt auf, dass ein Drittel der Kinder bei der Testung des Gleichgewichts (z. B. Stehen auf einem Bein, auf einer geraden Linie gehen) unsicher ist.

    Leichter Lesen und Rechnen durch den Gleichgewichtssinn

    Ein gutes Gleichgewicht ist nicht nur erforderlich, um Motorik und Koordination zu optimieren. Auch das Gehirn profitiert davon. Hirnforscher haben festgestellt, dass auch Lesen, Schreiben und Rechnen und sogar die Konzentrationsfähigkeit damit zusammenhängen.

    • Lesen und Rechtschreiben: Kinder mit Koordinationsproblemen verwechseln häufiger ähnlich aussehende Buchstaben wie b und d, p und q. Die Ursache dafür könnte in den ersten Lebensmonaten zu finden sein. In dieser Entwicklungsphase erhält das Sehzentrum in der Hirnrinde wichtige Impulse vom Gleichgewichtsorgan. Ohne diese Stimulation kann es sich nicht richtig entwickeln, was später zu Defiziten führt.
    • Rechnen: Kann ein Kind sich gut im Raum orientieren, kommt es auch mit abstrakten Größen wie dem Zahlenraum, Längen und Formen besser zurecht. Es muss wissen, wo oben und wo unten ist. Was ist größer, was ist kleiner? Was ist näher, was weiter entfernt? Bereitet ihm dies keine Schwierigkeiten, fällt ihm später auch der Mathematikunterricht leicht. Untersuchungen konnten z. B. zeigen, dass Kinder, die Probleme beim Rückwärtslaufen haben, auch mit Schwierigkeiten beim Rechnen kämpfen. Insbesondere das Subtrahieren fällt ihnen dann schwer.
    • Aufmerksamkeit: Der Gleichgewichtssinn ist vernetzt mit der Hirnregion, die die Konzentrationsfähigkeit regelt. Wenn Kinder z. B. beim Zuhören oder konzentrierten Arbeiten mit dem Stuhl kippeln, tun sie damit nichts anderes, als durch die Stimulation des Gleichgewichtssinnes ihre Aufmerksamkeit zu verbessern. Denken Sie hier nur an die kleinen Zappelphilippe mit ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hypertaktivitäts-Störung)!

    Tipps bei Schwierigkeiten mit dem Gleichgewichtssinn

    Kinderärzte schätzen, dass jedes achte Kind Gleichgewichtsunsicherheiten hat. Meist fallen betroffene Kinder erst mit vier oder fünf Jahren auf, wenn die Erwartungen an ihre motorischen Fähigkeiten steigen und deshalb ihre Unsicherheit zunehmend deutlicher wird.

    Mein Tipp

    Warnzeichen für ein gestörtes Gleichgewicht können z. B. Ungeschicklichkeit, häufiges Stolpern sowie Anecken an Möbeln oder Türrahmen sein. Betroffene Kinder meiden oft bestimmte Bewegungen wie Balancieren oder Klettern und sehen auf dem Spielplatz den anderen lieber nur zu. Sie gehen gerne an der Hand und versuchen sich weniger an Neuem. Es gibt jedoch auch Kinder, die alles ganz schnell machen und versuchen, über vermehrte Aktivität ihr Defizit auszugleichen.

    Wenn Ihnen das Bewegungsverhalten Ihres Kindes auffällig erscheint, ist der Kinderarzt der erste Ansprechpartner. Er wird Gleichgewicht und Koordination testen und Ihr Kind eventuell noch an den Augenarzt oder HNO-Arzt überweisen, um Seh- und Hörstörungen auszuschließen. Besteht ein Gleichgewichtsdefizit, können Gleichgewichtssinn und Koordination durch eine krankengymnastische und/oder ergotherapeutische Behandlung geschult werden.