Unterfordert? So unterstützen Sie Ihr Kind

Nur rund 2 bis 3 Prozent aller Deutschen, Erwachsene und Kinder zusammengenommen, sind hochbegabt und verfügen über seltene Ausnahmefähigkeiten oder die Veranlagung dazu. Die entsprechende Anzahl außergewöhnlich intelligenter Schülerinnen und Schüler wird noch ergänzt von einer Gruppe überdurchschnittlich begabter Kinder, die zwar nicht hochbegabt sind, aber trotzdem über eine sehr schnelle Auffassungsgabe verfügen und vom regulären Unterricht unter fordert sind. Das kann zu Problemen bis hin zur Schulverweigerung führen. 

Inhaltsverzeichnis

Versteckte Hochbegabung

Solange Kinder in der Schule gute Leistungen erbringen und glücklich sind, brauchen Eltern sich keine Sorgen über eine mögliche Unterforderung oder übersehene Hoch- bzw. Ausnahmebegabung zu machen. Stabile Kontakte zu Gleichaltrigen und Schulerfolg sind eine sehr gute Basis, um eventuelle Ausnahmebegabungen auch noch später einzubringen und auszuleben. Verhalten Kinder sich jedoch merkwürdig, meiden sie Kontakte, klagen sie über Unlust oder Schulangst, und bleiben sie weit hinter ihren Möglichkeiten zurück, besteht Handlungsbedarf. Je länger ein unterfordertes Kind sich dem Lernen verweigert, ausgeschlossen fühlt oder Lernfrust zeigt, desto schwieriger wird es, solche Strukturen später wieder aufzubrechen.

In der Schule gibt es verschiedene Möglichkeiten, hochbegabte Kinder zu unterstützen. Neben dem Überspringen einer Klasse und der intensiven Förderung im bestehenden Klassenverband gibt es auch das sogenannte Drehtürmodell, bei dem das Kind nur in bestimmten Fächern am Unterricht höherer Klassen teilnimmt. Alle Modelle haben Vor- und Nachteile und müssen je nach Einzelfall entschieden und begleitet werden.

Praxisbeispiel: Anzeichen für Hochbegabung

Laurien konnte mit fünf Jahren addieren, dividieren und multiplizieren, er kannte das gesamte Alphabet, las kurze Sätze und hatte keine Probleme damit, sich beim Malen zwei Stunden lang intensiv zu konzentrieren. Außerdem grübelte und diskutierte er gerne über philosophischen Fragen, auch wenn er das nicht so bezeichnen würde. „Haben Eltern das Recht, über ihr Kind zu bestimmen? Ist es schlimm, seinen Hund mehr als die Mama zu lieben? Macht mein aggressiver Freund gerade eine schwierige Phase durch?“ Mit der Einschulung veränderte sich der aufgeweckte Junge und verschloss sich immer mehr. Seine Leistungen wurden schlechter und schlechter, er hatte keine Lust mehr auf die Schule, und die Sorge seiner Eltern wuchs von Tag zu Tag.

Nur geschulte Lehrer erkennen den Handlungsbedarf

Dass mit Laurien irgendetwas nicht stimmte, merkten nicht nur seine Eltern, sondern auch die Lehrer. Er schaffte es einfach nicht, sein vorhandenes Potenzial zu entwickeln und Freundschaften in der Klasse aufzubauen. Doch es dauerte eine Weile, bis dem Gedanken an eine Unterforderung, also eine versteckte Hochbegabung, nachgegangen wurde. In der Schule waren die Pädagogen damit schlichtweg überfordert.

Nicht viele Lehrer sind geschult darin, Hochbegabte zu erkennen und entsprechend zu fördern, doch das Bewusstsein für die Notwendigkeit steigt glücklicherweise seit Jahren. In mehreren Bundesländern (Berlin, Brandenburg, Hamburg und Sachsen) gibt es beispielsweise Kooperationen mit der Karg-Stiftung, die sich seit über 20 Jahren für die Förderung hochbegabter Kinder und Jugendlicher engagiert sowie Lehrer schult. Auch Beratungsstellen für Eltern von möglicherweise hochbegabten Kindern finden sich bundesweit.

So unterstützen Sie Ihr Kind Schritt für Schritt bei einer vermuteten Hochbegabung

Falls Sie bei Ihrem Kind eine versteckte Hochbegabung vermuten, weil es unerklärlich schlechte Leistungen in der Schule erbringt sowie insgesamt unglücklich und einsam wirkt, sollten Sie sich nicht ausschließlich auf die Schule oder die Einschätzung der Lehrer verlassen. Die folgenden Schritte helfen Ihnen darüber hinaus dabei, festzustellen, was mit Ihrem Kind los ist:

  1. Gespräch mit der Klassenlehrerin (dem Klassenlehrer) mit der Bitte um eine genaue Schilderung der Lern- und Arbeitssituation Ihres Kindes in der Schule. Vergleichen Sie diese Schilderung mit dem Verhalten, der Neugier und dem Wissen, das Ihr Kind zu Hause zeigt.
  2. Vereinbaren Sie einen Termin zur Testung der eventuellen Hochbegabung bei einem Schulpsychologen oder in einer freien psychologischen Praxis. Dort werden ein ausführliches Gespräch und wahrscheinlich auch ein standardisierter Intelligenztest durchgeführt. Falls Sie sich im Vorfeld eines Tests beraten lassen möchten, finden Sie auf www.karg-stiftung.de/map.php Adressen von Hochbegabungsexperten in Ihrer Nähe.
  3. In einem abschließenden Gespräch mit dem Psychologen werden das Begabungsprofil, das Arbeits- und Motivationsverhalten sowie die Persönlichkeitsstruktur Ihres Kindes erörtert, um weitere Schritte einzuleiten.
  4. In Absprache mit der Schule und anhand des Testergebnisses kann anschließend das Überspringen einer Klasse oder eine intensivere, individuellere Förderung im bestehenden Klassenverband vereinbart werden. Auch der optimale Umgang mit dem hochbegabten Kind zu Hause und mit Gleichaltrigen wird besprochen.

Nicht immer führt dieser Weg zum schnellen Erfolg. Beobachten Sie Ihr Kind weiterhin, und überprüfen Sie, ob die eingeleiteten Hilfsmaßnahmen Wirkung zeigen. Falls sich die Situation nicht verbessert, müssen Sie die Situation neu überdenken. Vielleicht ist sogar ein Schulwechsel notwendig, weil die Bedürfnisse Ihres Kindes an der aktuellen Schule nicht erfüllt werden können.

Beim Thema Hochbegabung herrscht große Unsicherheit bei Eltern und Lehrern

Immer noch sind in den Schulen mehr als die Hälfte der tatsächlich hochbegabten Schülerinnen und Schüler von ihren Lehrern nicht erkannt, während zwei Drittel der Eltern ihre Kinder fälschlicherweise als hochbegabt ansehen. Im Zweifelsfall ist ein Test bei einem erfahrenen Schulpsychologen oder einem anderen Psychologen sinnvoll. Qualifizierte Unterstützung finden Sie im Internet unter www.die-hochbegabung.de/german/index.html beim Berufsverband der Psychologen.

Sinnvolle Beschäftigungen machen hochbegabte Kinder glücklich

Nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause brauchen begabte Kinder „Futter“, um ihre Fähigkeiten zu fördern und Unterforderung vorzubeugen. Ergänzend zum Lernstoff in der Schule, sollten Eltern Angebote im Freizeitbereich suchen, die dem Kind Spaß machen und seine Talente unterstützen. Konzentrationsspiele (z. B. Schach), Fremdsprachen, Sport oder das Erlernen eines Instrumentes führen dazu, dass der Wissenshunger eines hochbegabten Kindes gestillt wird. Wenn möglich, sollten die Freizeitbeschäftigungen in einer Gruppe Gleichaltriger stattfinden, damit auch die Entwicklung sozialer Fähigkeiten unterstützt wird.