Teenager loslassen: Wie Eltern es schaffen ihre Kinder loszulassen!

Irgendwann wird der Tag kommen, an dem Ihr fast erwachsenes Kind aus dem gemeinsamen Heim ausziehen wird. Manche Eltern und pubertierendes Kinder erleben dieses Ereignis des Loslassens als heftigen und oft schmerzhaften Einschnitt in ihr Leben. 

Inhaltsverzeichnis

Kinder gedanklich freigeben

Heranwachsende haben vielfältige Motive, aus dem Familienhaushalt auszuziehen. Man will auf eigenen Füßen stehen, Eigenständigkeit demonstrieren, Freiheiten ausprobieren. Man möchte mit dem Freund oder der Freundin zusammen sein, man will der elterlichen Kontrolle entfliehen und Selbstständigkeit ausdrücken. Man will den ständigen Reibereien, die sich an Nichtigkeiten entzünden, aus dem Weg gehen. Viele Pubertierende spüren instinktiv, dass die heftigen Konflikte die Beziehungen zu den Eltern sonst nachhaltig berühren, sogar beschädigen können.

  • „Ich will ausziehen“, erklärt mir Josef, 19 Jahre.

    „Es reicht mir zu Hause! Ich mag meine Eltern schon. Aber wir haben ständig Zoff wegen irgendeiner Kleinigkeit. Aufräumen. Pünktlichkeit. Mithelfen und so! Das nervt mich, und das muss nun nicht mehr sein!“
  • „Bei mir ist’s anders“, ergänzt Sarah, 21 Jahre.

    „Ich möchte mit meinem Freund zusammenleben. Das einfach ausprobieren. So bin ich mal hier und mal da. Mal Kind, mal Frau. Diesen Spagat finde ich anstrengend. Meine Mutter ist in Ordnung, aber die macht sich sehr viele Sorgen. Und das geht mir allmählich auf den Geist. Ich weiß, die meint es gut. Aber ich will jetzt auf meinen eigenen Beinen stehen!“
  • „Wir haben uns lange Zeit vertragen“, berichtet Jakob, 19 Jahre.

    „Aber jetzt habe ich meine eigenen Interessen, meine Eltern haben andere. Wir passen nicht mehr zusammen. Jeder geht so seinen Weg. Ich glaub, wenn wir uns weniger sehen, dann passen wir irgendwann wieder besser zueinander.“

Ablösung bedeutet Umgestaltung der Eltern-Kind-Beziehung

In den Aussagen der drei jungen Erwachsenen wird aber noch ein weiterer Gesichtspunkt deutlich, der häufig unterschätzt wird: Ablösung meint nicht Auflösung der Eltern-Kind-Beziehung. Ablösung bedeutet vielmehr eine Umgestaltung dieser Beziehung. Man geht anders aufeinander zu, stellt eine neue Verbundenheit her. Sich voneinander zu lösen und sich gleichzeitig verbunden zu fühlen, sind zwei Dinge, die zusammengehören.

Schärfer formuliert: Eine Ablösung gelingt Heranwachsenden in der Pubertät ausschließlich vor dem Hintergrund einer gefühlsmäßig stabilen Bindung zu den Eltern. Je fester also, je vertrauter die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Kind ist, umso leichter wird es beiden Seiten fallen, die „Zügel“ zu lockern und einander loszulassen, damit eine neue Beziehung gestaltet werden kann.

Loslassen beginnt lange vor dem Auszug der Kinder

Ein Vater und eine Mutter beschreiben rückwirkend, wie Sie den Auszug ihrer beiden Töchter erlebt haben: „Für mich war ihr Auszug doch so etwas wie eine Befreiung. Da fiel auch Verantwortung von mir ab. Die eine hatte eine gute Ausbildung, die andere studierte. Das machte mich auch ein wenig stolz. Jetzt wollte ich mal etwas ganz anderes machen. Nicht nur Mutter sein, nicht mehr nur Verantwortung tragen. Wir haben“, sie weist auf ihren Mann, der neben ihr sitzt, „darüber geredet. Und ich denke, wir haben einen Weg gefunden. Ich arbeite jetzt wieder halbtags als Sekretärin!“

Ihr Mann: „Mir ist es schon schwergefallen. Vor allem bei der letzten Tochter. Das war irgendwie so ein Ende. Da ist etwas gestorben. Und ich hab viel darüber nachgedacht, was ich alles mit den Töchtern versäumt habe. Ich war stark im Beruf engagiert, hab mich aus der Kindererziehung rausgehalten. Dann sind die Kinder mit einem Mal groß und nicht mehr da. Da kommen einem Schuldgefühle! Ich wollte mit einem Mal Versäumtes nachholen. Und habe gemerkt, das geht nicht!“

Beide Eltern beschreiben ihre Gefühle und Gedanken nach dem Auszug Ihrer Töchter. Dabei wird deutlich, dass Vater und Mutter nun wieder auf sich selbst „zurückgeworfen“ sind.

Der Vater ist auf diese Situation jedoch nicht vorbereitet gewesen

Eine langsame Ablösung von seinen Kindern und die Umgestaltung seiner Beziehung zu ihnen haben während der Pubertätsjahre nicht stattgefunden. So ist für ihn die Trennung von seinen Töchtern nun eine plötzliche, schmerzhafte Erfahrung, die mit Trauer und Schuldgefühlen verbunden ist.

Die Mutter hingegen war auf diesen Schritt Ihrer Kinder vorbereitet.

Sie hat gemeinsam mit ihren Töchtern darauf hin gearbeitet, dass sie ein eigenständiges Leben führen können, und ist nun stolz darauf, dass ihre Kinder auch beruflich auf einem guten Weg sind. Im Unterschied zu ihrem Mann fühlt sie sich erleichtert, befreit von der jahrelangen Verantwortung für Ihre Töchter und ist froh darum, jetzt wieder eigene (berufliche) Wege gehen zu können.

Väter tun sich schwerer mit dem Loslassen der Kinder

Wie im Beispiel fällt es vielen Vätern oft schwerer, sich von ihren erwachsen werdenden Kindern zu lösen, als Müttern. Väter sehen den Auszug häufig negativer und reagieren beunruhigter. Sie empfinden die Trennung als einen Verlust, der sie sehr plötzlich zu treffen scheint. Die väterlichen Probleme weisen auf eine Vielzahl bedenkenswerter Aspekte des Loslassens hin:

  • Viele Väter setzen sich mit der Abnabelung ihrer Kinder erst sehr spät und nur oberflächlich auseinander. Die gefühlsmäßigen Folgen eines Lösungsprozesses werden nur selten in ihrer ganzen Tragweite betrachtet.
  • Väter haben sich häufig lange Zeit aus der Erziehung herausgehalten. Sie haben sich mit der Kindererziehung auf eine imaginäre Zukunft hin vertröstet („Wenn die Kinder älter sind!“) – und in dem Moment, wo sie vielleicht Zeit hätten, ziehen die Heranwachsenden aus. Manchmal versuchen sich Väter in einer Erziehung der letzten Minute, die nicht selten in gegenseitigen Vorwürfen und nerv tötenden Machtkämpfen endet.
  • Auffällig ist, dass Väter die Elternschaft oft positiver als die Ehe bewerten. Deshalb halten sie an ihrer Elternrolle fest und die Kinder im Haus. Mancher Vater verwendet dabei wenig gekonnte Techniken, etwa, indem er Pubertierende durch Streit und Konflikt bindet oder durch materielle Zuwendung fesselt.

Mein Rat an die Väter: Leben Sie Ihre Partnerschaft!

Je lebendiger und fester Sie Ihre Partnerbeziehung gestalten und erleben, desto positiver und einfacher werden Sie auch den Auszug Ihrer heranwachsenden Kinder „ertragen“. Indem die Elternrolle zurücktritt, tun sich Freiräume auf, die Sie nun gemeinsam mit Ihrer Partnerin ausfüllen können. Und aus der Sicht Ihres pubertierenden Kindes gilt: Je mehr es spürt, wie sich seine Eltern auf ihre Partnerschaft zurückbesinnen, umso leichter fällt ihm der eigene Ablösungsprozess.

Den Prozess des Loslassens planen:

Nehmen Sie sich rechtzeitig Zeit für Ihr Kind!

Dabei spielt weniger die Menge der Zeit, als vielmehr die Qualität des Zusammenseins mit Ihrem Kind eine Rolle. Gemeinsame Aktivitäten, intensive Gespräche etc. sind aber nicht nur wichtig, damit Sie später nicht der „verlorenen“ Zeit hinterhertrauern, sondern Loslassen funktioniert nur dann wirklich, wenn Sie gleichzeitig zusammen mit Ihrem Kind eine neue, stabile Beziehung gestalten – und das braucht (gemeinsame) Zeit.

Aber auch Müttern fällt das Loslassen nicht leicht

Auch bei den Müttern geht das Verlassen des gemeinsamen Heims natürlich nicht ohne Trauer und Wehmut einher. Insgesamt haben Mütter jedoch (so meine Beobachtung):

  • durch den alltäglichen Kontakt mit ihren Kindern schon manche Trennung erlebt – angefangen beim Laufen lernen, dem Besuch des Kindergartens, der Schule, dem Kontakt zu Freunden. Mütter müssen häufiger Abschied nehmen, haben schon manche Träne vergossen, aber auch manche Krise durchgestanden.
  • Zudem sehen sie nun die Ergebnisse ihrer Bemühungen: Da Mütter häufiger als die Väter für Erziehung und Bildung der Kinder verantwortlich sind, erfüllt es sie mit Stolz zu sehen, wenn aus dem Nachwuchs selbstständige und selbstbewusste Erwachsene werden, die ihren eigenen Weg gehen. Aber auch für Mütter gelten einige Rahmenbedingungen, unter denen der Prozess der Ablösung leichter fällt und positiv erlebt wird.

Mein Rat an die Mütter

Gleichen Sie Ihre Mutterrolle durch alternative Aufgaben aus! Müttern, die auch schon während der Kindererziehung für sich sorgen und außerhäuslich aktiv werden (z. B. Berufstätigkeit, alternative Aufgaben), fällt der Ablöseprozess leichter.

  • Werden Sie keine Perfektionistin!

    Mütter, die sich selbst und ihre Kinder in einer Unvollkommenheit annehmen und weder sich noch die Kinder ständig mit anderen vergleichen, sind wesentlich zufriedener und können besser loslassen.
  • Festigen Sie die Beziehung zu Ihrem Partner!

    Hier gilt für Väter wie Mütter das Gleiche: Wenn Sie eine intensive Beziehung zu Ihrem Partner pflegen, fällt es Ihnen und Ihrem pubertierendem Kind leichter, veraltete Eltern-Kind-Rollen über Bord zu werfen.
  • Suchen Sie rechtzeitig nach neuen Aufgaben, nach einem neuen Lebensstil!

    Wichtig sind die Perspektiven, die Sie sich auf dem Weg der Ablösung von den Kindern suchen. Aus  Beratungsgesprächen weiß ich: Eltern, die durch den Ablöseprozess und schließlich den Auszug der Kinder zu einem neuen Lebensstil angeregt werden, sind sehr zufrieden. Ihnen gelingt es, die Beziehung zu ihren heranwachsenden Kindern umzugestalten

Nicht selten aber klammern sich Mütter und Väter an ihre Kinder. Und weil sie von ihrer Elternschaft nicht lassen können, lassen sie ihre pubertierenden Söhne und Töchter nicht los. Sie versäumen es, die Beziehung auf eine andere Basis zu stellen. Es bleibt bei einer „Versorgungsbeziehung“, die weder den Eltern noch den Heranwachsenden gerecht wird. Dabei würde eine distanzierte Intimität, eine Verbundenheit, die die Balance von Nähe und Distanz hält, der neuen Beziehung gerechter. Pubertierende leben Veränderungen vor: Lernen Sie von Ihrem Kind! Wenn Eltern wie Kinder sich rechtzeitig auf den Weg – genauer: die unterschiedlichen Wege – machen, können sie sich wieder annähern.