Antiautoritärer Erziehungsstil: Was steckt dahinter?

Wenn Kinder nicht hören wollen und in Kindergarten und Schule auffallen, geraten Eltern oft in Verdacht, dass sie „antiautoritär erziehen“. Denn einem antiautoritären Erziehungsstil eilt der Ruf voraus, ungezogene Kinder als Resultat vorweisen zu können. Doch was ist das eigentlich: „Antiautoritäre Erziehung“? 

Inhaltsverzeichnis

Antiautoritär erziehen – ja oder nein?

Über antiautoritäre Erziehung bestehen teilweise recht diffuse Vorstellungen. Jeder hat schon mal davon gehört, aber keiner weiß, was das eigentlich ist. Um zu begreifen was antiautoritäre Erziehung ist und was damit bezweckt wurde, muss man einige Jahrzehnte zurückgehen.

Der antiautoritäre Erziehungsstil ist mehrere Jahrzehnte alt

Damals als die jungen Frauen und Männer, die als Kleinkinder den zweiten Weltkrieg miterlebten, selbst Mütter und Väter wurden. Es handelt sich um dieselbe Generation, die als 68er Generation auch heute noch bekannt ist. Diese Generation hat Väter erlebt, die aus dem Krieg mit unaussprechlichen Erinnerungen zurückkamen und danach mit den Folgen schrecklichster Erlebnisse kämpfen mussten. Damals war es vollkommen undenkbar, dass irgendjemand deshalb psychologische Betreuung in Anspruch hätte nehmen können. Deshalb ließen diese Väter ihre Aggressionen und ihre unstillbare Wut sehr häufig an ihren Kindern aus. Die damals praktizierte Erziehung wird oftmals als autoritäre Erziehung bezeichnet. Diese Bezeichnung trifft dies allerdings nicht. Viele Väter erzogen nach den disziplinarischen Vorstellungen des NS-Regimes. Damit war die Erziehung nicht einfach nur autoritär, sie war häufig genug grausam und ungerecht.

Die „antiautoritäre Erziehung“ wollte Obrigkeitsdenken abschaffen

Als diese Kinder zu jungen Erwachsenen wurden, lehnten sie sich gegen die alte Ordnung auf. Sie stellten alles auf den Kopf und beschlossen, ihre eigenen Kinder ohne die Bevormundung irgendeiner Autorität zu erziehen. Die Stadt Berlin übernahm eine Vorreiterrolle. Denn dort entstanden damals die sogenannten „Kinderläden“. Dort durften Kindergartenkinder buchstäblich alles, was ihnen gerade in den Sinn kam. Die jungen Leute damals warfen bestehende Ordnungen vollkommen über Bord. Sie wollten, dass ihre Kinder frei und ohne jede Autorität aufwachsen sollten. Das fing damit an, dass sie sämtliche Entscheidungen den Kindern überließen, oder auch alles bis in die kleinste Einzelheit durchdiskutierten bis dahin, dass sich die Eltern nicht mehr mit „Mama“ und „Papa“, oder dem sehr verbreiteten „Mutti“ und „Vati“ anreden ließen, sondern mit den Vornamen. Es sollte keinerlei Hierarchien mehr geben und damit fing man schon in der Familie an.

Der antiautoritäre Erziehungsstil beeinflusste Lehrer und Erzieher

Diese Idee der antiautoritären Erziehung war keine Idee einzelner Ideologen, sondern es dauerte nicht lange bis diese Erziehungsform das ganze Land überschwemmte und bis in den hintersten Winkel bekannt wurde. Viele Jahrgänge unterdrückter Kinder jubelten: sie alle befürworteten die antiautoritäre Erziehung. Sie hielt überall Einzug, in die Lehrbücher für Erzieher genauso, wie in die Jugendbücher. Ein besonders bekanntes Kinderbuch ist das „Sams“ von Paul Maar, der mit seinem Herrn Taschenbier einen typischen Vertreter eines duckmäuserischen, obrigkeitshörigen und willenlosen Bürger geschaffen hatte. Und mit dem frechen SAMS zeichnete er ein freches Wesen, mit dem sich ein jedes Kind identifizieren sollte, damit es lernt, frei seine Meinung zu sagen, ohne sich zwanghaft einer Obrigkeit zu beugen.

Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre war die Zeit reif zum Umdenken. Weder preußischer Drill, noch das NS-Regime konnten Vorbild für eine geglückte Erziehung sein. Doch leider schossen die Befürworter dieser neuen Erziehungsmethode weit übers Ziel hinaus. Mit der Aberkennung jeglicher Autorität verweigerte man Kindern, die für ihre Entwicklung sehr wichtigen Identifikationsmodelle. Denn woran sollen sich Kinder orientieren, wenn selbst die eigenen Eltern keine Autorität mehr für sie darstellen? Die Abschaffung sämtlicher Regeln förderte nicht die Fähigkeiten, sich frei zu entfalten, sondern es forcierte ungewünschtes Verhalten, wie Aufsässigkeit, oder die Unfähigkeit sich in eine bestehende Ordnung wie eine Schulklasse einzufügen. Viele Eltern, die sich anfangs für das antiautoritäre Erziehungsmodell begeisterten, resignierten irgendwann und zogen sich aus ihrer Erziehungsverantwortung zurück. Der Erziehungsstil wandelte sich von „antiautoritär“ zu laissez-faire“, was bedeutet, dass man das Kind einfach machen lässt.

Die „antiautoritäre Erziehung“ war Wegbereiter für moderne Erziehungsformen

Inzwischen haben nicht nur Eltern, sondern auch Erzieher und Lehrer erkannt, dass die antiautoritäre Erziehung zwar eine gute Grundlage für Veränderungen war, aber dass der perfekte Erziehungsstil nicht antiautoritär sein kann. Erziehung unterlag in den letzten vierzig, fünfzig Jahren gewaltigen Veränderungen und sie wird sich weiter verändern. Erziehung heute bedeutet, ein Kind in seiner Persönlichkeit ernst zu nehmen, seine Ressourcen zu entdecken, zu erkennen und zu fördern. Es gab gute Ansätze in der antiautoritären Erziehung. Deshalb ist es nach wie vor wichtig, Kinder nicht zu duckmäuserischen und obrigkeitshörigen Menschen zu erziehen, doch die Methode hat sich geändert. Man hat erkannt, dass eine solche Erziehung nichts damit zu tun hat, dem Kind keinerlei Regeln zu setzen. Kinder brauchen klare Ansagen. Regeln und Grenzen sind nichts, das die Persönlichkeit eines Kindes verletzen könnte. Stattdessen gehören Regeln und Grenzen zu einem soliden Fundament, auf dem eine Basis von Vertrauen und Achtung entstehen kann. Ja, es gehört auch dazu, dass Kinder Erwachsenen und allen voran den eigenen Eltern, Achtung und Respekt entgegen bringen. Kinder brauchen Menschen, die ihnen ein positives Vorbild sein können. Das lernen sie in einer wertschätzenden und fördernden Erziehung.