Was tun, wenn mein Teenager aggressiv ist?
Vermutlich gibt es kein Kind, das nicht schon einmal Aggressionen anderer auf unangenehme Weise erfahren hat oder selbst aggressiv geworden ist. Gerade im Pubertätsalter zeigen manchmal Heranwachsende Aggressionen, von denen man ein solches Verhalten zuvor nicht annähernd vermutet hätte. Dabei sind unter Aggressionen nicht nur die offenen, sichtbaren Formen, sondern eben auch die stillen, gegen die eigene Person gerichteten Angriffe zu verstehen.
Von Minderwertigkeit und Selbstwertgefühl
Befragt man Eltern, Lehrer, Erzieher und andere Erwachsene, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, danach, was sie mit Aggressionen verbinden, so nennen sie zerstörerisches oder störendes Tun wie treten, beißen, kratzen, (um sich) schlagen, hauen, boxen, verletzen, würgen, spucken, anbrüllen, stehlen, lügen, schreien, beleidigen, erniedrigen oder aber Eigenschaften wie gemein, hinterhältig, brutal, rücksichtslos, gewalttätig, dominant, herrschsüchtig, dreist, egozentrisch, asozial, konfliktunfähig, chaotisch, hyperaktiv, unaufmerksamer, unkonzentriert. Man konzentriert sich – wie die gesamte öffentliche Diskussion – auf das Destruktive, mit dem Aggressionen daherkommen, und übersieht dabei die verdeckten und versteckten, die leeren und stillen Formen der Aggression. „Lieber bin ich aggressiv als ein Garnichts!“:
Aggressionen als Ausdruck von Minderwertigkeitsgefühlen in der Pubertät
Es gibt Jugendliche, die gelernt haben und spüren: Nur wenn ich – im wahrsten Sinne des Wortes – um mich schlage, mit Taten und Worten, dann sieht man mich, bemerkt man mich. Hinter vielen (wohlgemerkt: nicht allen!) brutalen, gewalttätigen sowie gemein-bösartigen Grenz- und Regelverletzungen verstecken sich Hinweise, die es zu entschlüsseln gilt, will man Heranwachsenden soziales Miteinander, gegenseitige Achtung und Respekt vermitteln.
Minderwertigkeitsgefühle lassen kein Selbstbewusstsein entstehen. Solche Gefühle brechen sich ihre Bahn in destruktiven Worten und Taten. „Bevor ich untergehe“, so hat sich der 16-jährige Jakob ausgedrückt, „mache ich noch jede Menge Scheiß!“ Aber Minderwertigkeit drückt sich eben nicht allein in nach außen gerichteten, destruktiven Aktivitäten aus. Aggressionen können sich zugleich auch nach innen richten.
Aggressionen sind gewaltige Energien, die sich in Handlungen entladen wollen. Aggressionen haben mit Bewegung und Dynamik zu tun, die sich nicht ins Zerstörerische wenden sollten. Können sich Aggressionen bei Ihrem Kind jedoch nicht ausdrücken, bleiben sie im Körper und schädigen ihn.
Schärfen Sie Ihren Blick für die verdeckten Aggressionen Ihres Teenagers
Über die verdeckten Aggressionen redet man kaum. In der öffentlichen Diskussion finden sie deshalb nur selten einen Platz. Ein anschauliches Beispiel ist die Diskussion über Gewalt in der Schule: Über Mobbing, über Bullying, über das Abzocken, über Erpressung, über Nötigung, über Waffen lesen Sie – natürlich zu Recht – viel. Aber darüber, dass viele Schüler und Schülerinnen mit Herzrasen, mit Magenbeschwerden, mit feucht-nassen Händen und fiebrig-heißer Stirn den Unterricht besuchen, darüber geht man häufig schnell hinweg. Dabei hat sich gerade hier in den letzten beiden Jahrzehnten eine qualitative Veränderung ergeben. Wollen Sie also der Vielfalt, mit der sich Aggressionen im Alltag von Heranwachsenden zeigen, gerecht werden, ist es wichtig, auch die verdeckte Seite der Aggressionen zu erkennen und ihr mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Somatische Beschwerden in der Pubertät als Zeichen
Achten Sie einmal auf die viele Hinweise in unserer Alltagssprache, die bildhaft umschreiben, wie der Körper auf Disharmonie in zwischenmenschlichen Beziehungen reagiert. Nehmen Sie solche Redewendungen, die leicht über die Lippen kommen, in ihren tieferen Bedeutungen ernst, dann gewinnen Sie einen Eindruck davon, was nach innen gerichtete Aggressionen an körperlichen Beschwerden auslösen können:
Da redet man schon mal verzweifelt davon, wenn einem etwas auf den Wecker geht: „Ich kann das jetzt nicht mehr hören!“, andere haben schlichtweg „die Nase voll“, sagen das auch, nehmen aber das körperliche Symptom nicht ernst. Dritte schlucken alles herunter und haben ständig eitrige Mandelentzündungen. Vielleicht zerbrechen auch Sie sich häufig den Kopf und wundern sich über nicht enden wollende Schmerzen? Da „geht einem etwas an die Nieren“, da „nimmt man sich etwas zu Herzen“, und manchem „schlägt etwas auf den Magen“. Und wieder anderen „geht etwas unter die Haut“, oder „es brennt etwas auf der Haut“ – und manchmal sieht die Haut dann entsprechend aus.
Sicher besteht kein zwingender Zusammenhang zwischen somatischen Beschwerden und unbewältigten Problemen. Auch gibt es Kinder und Jugendliche, die kein noch so wüster Tornado umhaut. Aber da sind eben auch die anderen, deren Körper sehr sensibel reagieren, wenn die Umgebung in Disbalance ist. Jeder Körper will Harmonie. Ist sie nicht gewährleistet, zeigt er das, macht auf sich aufmerksam. Nicht die somatischen Begleiterscheinungen sind das Problem. Sie stellen vielmehr Zeichen dar, mit denen der Körper auf sich verweist. Komplikationen ergeben sich meist daraus, dass man die Zeichen übersieht, fehldeutet, nicht wahrhaben will oder oberflächlich mit Medikamenten, ja sogar Operationen – häufig vergeblich – zum Verschwinden bringen möchte.