Wie Ihr Kind lernt, mit Misserfolgen umzugehen

Ein Misserfolg, eine Niederlage ist immer ein Angriff auf das persönliche Selbstwertgefühl. In der Pubertät, wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter vielleicht ohnehin mehr an sich selbst zweifeln, nagt ein Misserfolg oft umso schlimmer am eigenen Ego. Doch scheitern, ob in der Schule, im Sportverein oder in zwischenmenschlichen Beziehungen, gehört zum Leben Ihres Kindes dazu. Das zu verstehen und mit den eigenen Misserfolgen richtig umzugehen, ist sicher nicht leicht. Lesen Sie hier, wie Sie Ihr Kind dabei unterstützen können.  

Inhaltsverzeichnis

Rückschläge in der Pubertät richtig verarbeiten

Wer scheitert, auf den wird mit den Fingern gezeigt. Handelt es sich um prominente Persönlichkeiten, dann wird deren Scheitern gern von den Medien – mal mit mehr, mal mit weniger Niveau – genüsslich breitgetreten. Eine zweite Chance, ein Neuanfang, wird den Gescheiterten nur selten zugestanden. Diese, zumindest in Deutschland, verbreitete Einstellung zum Umgang mit Misserfolgen, nimmt natürlich auch Ihr Kind war. Die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft ist der Erfolg als Normalzustand. Das Scheitern hingegen ist zwar kein Tabu, aber es wird auch nicht als Normalität betrachtet im Sinne von: „Leider gescheitert, aber ich probiere es immer wieder.“

Misserfolge sind normal!

Misserfolge sind jedoch normal, heute vielleicht mehr denn je. Unsere Wahrnehmung davon allerdings noch nicht. Dabei sind Faktoren wie eine hohe Qualifikation gepaart mit ausreichend Engagement schon lange kein zuverlässiger Garant mehr zum Beispiel für beruflichen Erfolg. Entlassungen, Jobmangel etc. lassen Menschen auch unverschuldet scheitern bzw. ihre beruflichen Ziele nicht erreichen. Doch in einer Gesellschaft, in der nur hoch gesteckte Ziele zählen, werden Misserfolge schnell als persönliche Niederlage empfunden.

Kinder und Jugendliche gehen unterschiedlich mit Misserfolgen um

In psychologischen Tests hat man herausgefunden, dass Menschen mit einem hohen Selbstwert, grundsätzlich besser mit Kritik umgehen können als Menschen mit einem geringen Selbstwert. Menschen mit schwächerem Selbstwert meiden Situationen oder Kontakte mit anderen Menschen, bei denen sie kritisiert werden könnten. Ähnliche Unterschiede zeigen sich dann auch beim Umgang mit Misserfolgen. Menschen mit einem starken Selbstwertgefühl richten ihren Focus in schwierigen Situationen auf ihre Stärken und machen die äußeren Umstände für ihr Scheitern verantwortlich. Menschen mit weniger Selbstwertgefühl konzentrieren sich in schwierigen Situationen eher auf ihre Schwächen und geben sich selbst die Schuld für ihr Versagen. Auch Erfolge werden unterschiedlich interpretiert. Menschen mit einem hohen Selbstwert schreiben einen Erfolg ihren Talenten zu, Menschen mit geringem Selbstwert vermuten eher Glück hinter ihrem Erfolg

Auf die innere Haltung kommt es an

„Jedes Ding hat zwei Handhabungen; je nachdem wie man es fasst, wird es unerträglich oder erträglich.“ Diese Aussage des stoischen Philosophen Epiktet, skizziert kurz und knapp worum es beim Umgang mit Misserfolgen geht. Lässt sich Ihr Kind hängen, verharrt es in der Opferhaltung und macht vielleicht andere für sein Versagen verantwortlich oder bescheinigt sich selbst dauerhafte Unfähigkeit, dann wird und bleibt der Misserfolg für Ihr Kind unerträglich. Schafft Ihr Kind es aber, nach einer angemessenen Zeit den Schock und die Trauer über den erlittenen Misserfolg beiseite zu schieben und neue Kräfte und neuen Mut für einen Neustart zu mobilisieren, dann wird die Situation durchaus erträglich. Hier sind Sie nun als Eltern gefragt. Ihre Aufgabe ist es, Ihrem Kind dabei zu helfen, dass es ins Handeln kommt. Das ist sicher keine leichte Aufgabe, zumal sich Ihr Kind in der Pubertät vielleicht manchmal selbst nur wenig zutraut und ein Misserfolg seine noch unsichere Persönlichkeit heftig erschüttern kann. Die Coolness mit der Ihr Kind möglicherweise z.B. schlechte Noten oder andere Niederlagen scheinbar unbeeindruckt wegsteckt, sollte Sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ihr Kind leidet. Niemand versagt freiwillig – auch coole, pubertierende Jugendliche nicht. Für den Selbstwert Ihres Kindes ist es aber unbedingt notwendig, dass Ihr Kind gerade nach solchen persönlichen Pleiten erfährt, dass es eben nicht für alle Zeiten dumm und unfähig ist, sondern sich durch eigene Kraft aus einer schwierigen Situation befreien kann. Von den Stoikern kann man in diesem Sinne viel zum Umgang mit Misserfolgen lernen. Landläufig haben die Stoiker den Ruf, dass sie alles „stoisch“ ertragen oder mit „stoischer Gelassenheit“ hinnehmen. Das trifft jedoch nur für die Dinge zu, die der Mensch ohnehin nicht verändern oder beeinflussen kann. Sonst ist der Stoiker eigentlich ein Mensch der Tat: „Nicht weil es schwer ist, wagen wir’s nicht, sondern weil wir’s nicht wagen, ist es schwer“, sagt Seneca. Selbst die Hummel wagt scheinbar Unmögliches, denn alle Aeronautiker sind sich einig: Die Hummel kann eigentlich überhaupt nicht fliegen. Sie kann aus physikalischen Gesichtspunkten gar nicht zum Flug starten, weil sie viel zu schwer für ihre kleinen Flügel ist. Gott sei Dank weiß die Hummel das nicht: Sie fliegt einfach! Diese innere Einstellung benötigt Ihr Kind, um Misserfolge produktiv verdauen zu können. Nicht durch passives Abwarten, nur durch aktives Handeln kann Ihr Kind aus seinen Niederlagen lernen und daran wachsen.

Denkanstoß: Krise = Chance

Jede Niederlage birgt immer eine Krise – aber auch eine Chance, es demnächst besser zu machen. Von den Chinesen können wir da eine Menge lernen. Sie kennen nur ein Wort (wei-ji), das sowohl Krise als auch Chance bedeutet.

Sie als Eltern sind das Vorbild!

Diese innere Einstellung bzw. einen solchen sinnvollen Umgang mit Misserfolgen lernt Ihr Kind weniger durch verbale „Belehrungen“, als durch Ihr unmittelbares Vorbild. Reflektieren Sie Ihre eigene grundsätzliche Einstellung zu menschlichen Niederlagen und Ihren Umgang mit eigenen persönlichen Misserfolgen. Beantworten Sie sich dazu folgende Fragen: _ Wie gehe ich mit meinen eigenen Misserfolgen um? _ Wie bewerte ich Misserfolge anderer Menschen? _ Wie reagiere ich auf Misserfolge meines Kindes? Ihr Kind spürt deutlich, ob Sie im Normalfall Erfolg erwarten oder auch Misserfolge als Normalität wahrnehmen. Ihr Kind beobachtet auch, wie Sie selbst mit Ihren eigenen Misserfolgen umgehen; also ob Sie selbst aktiv werden, um Ihre Situation zu verbessern oder passiv verharren und die Schuld bei anderen oder den äußeren Umständen für Ihre Niederlage suchen.

Denkt Ihr Kind: Was bin ich wert?

Gerade dann, wenn Ihr Kind eine Niederlage verdauen muss, stellt sich ihm diese Frage umso dringlicher. Traurig wäre es, wenn Ihr Kind zu dem Schluss käme, dass es z. B. ohne schulische Erfolge nichts wert wäre. Leider denken dies mehr Schüler als man annimmt. Wer die Leistungserwartungen seiner Eltern, seiner Lehrer oder der Gesellschaft nicht erfüllen kann, kann durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass er weniger wert ist als die leistungsstarken Schüler. Umso wichtiger ist es, dass Sie Ihrem Kind immer wieder und ganz unabhängig von seinen Leistungen zeigen, dass es ein wertvoller Mensch mit vielen guten Eigenschaften und Fähigkeiten ist. Nur, wenn Ihr Kind weiß, dass es trotz eines Misserfolgs, z.B. ein liebenswerter, schlauer und ideenreicher Mensch mit Durchhaltevermögen ist, kann es sich bei Misserfolgen auch auf diese Stärken besinnen.

Trost – Trauer – Neuanfang

Jeder Misserfolg ist zunächst für Ihr Kind ein Schock, den es verarbeitet muss. Je größer der Misserfolg, umso größer ist auch der Schaden für das Selbstwertgefühl. Auf den Schock folgt dann meist die Trauer. Das heißt, Ihr Kind fühlt sich schlecht, hadert damit, dass es sein Ziel nicht erreichen oder eine Idee nicht umsetzen konnte. Trösten Sie Ihr Kind und lassen Sie ihm eine gewisse Zeit zur Trauer, doch dann sollten Sie es ermutigen, über einen neuen Versuch oder einen neuen Anfang nachzudenken. Wichtig dabei ist, dass Ihr Kind den Misserfolg nicht verdrängt, sondern offen darüber redet und seine Fehler reflektiert.

Neuer Versuch oder neues Ziel?

Je nach Art der Niederlage stellen sich für Ihr Kind nun folgende Fragen:

  • Kann ich einen neuen Versuch starten, um mein Ziel (z.B. eine 4 in Mathe) doch noch zu erreichen? Besteht diese Möglichkeit, dann muss Ihr Kind jetzt konkrete Maßnahmen festlegen, die ihm helfen sein Ziel nun zu erreichen (z.B. Förderkurs in Mathe, zusätzliches Lernen, bessere mündliche Beteiligung etc.)
  • Habe ich mein Ziel bereits verfehlt bzw. muss akzeptieren, dass ich dieses Ziel (z.B. die Versetzung in die nächste Klasse) mit meinen Möglichkeiten nicht schaffen kann? Trifft dieser Fall zu, dann muss Ihr Kind sich nun Gedanken über ein neues Ziel machen (z.B. Wechsel auf die Realschule und ein guter Abschluss im nächsten Jahr). Ihr Kind muss sein Leistungsvermögen im Verhältnis zu den bestehenden Herausforderungen also realistisch und ehrlich einschätzen. Wenn Ihr Kind lernt so zu denken, dann zeugt dies von Stärke und Verantwortungsbewusstsein sich selbst gegenüber. Wer dann rechtzeitig die Reißleine zieht, bevor er sich in eine Sackgasse manövriert, hat aus seinen Misserfolgen gelernt und wird diese kaum noch in allen Konsequenzen zulassen.
Unser Rat: Nehmen Sie Ihrem Kind die Arbeit nicht ab!
Ihr Kind kann seine Misserfolge nur bewältigen und lernen produktiv mit dieser Erfahrung umzugehen, wenn Sie ihm diese Arbeit nicht abnehmen. Damit ist gemeint, dass nicht Sie, sondern Ihr Kind aktiv werden muss, um seine schwierige Situation in den Griff zu bekommen. Sie dürfen Ihr Kind trösten und ihm Mut machen, sie können es auch bei der Suche nach geeigneten Maßnahmen bzw. beim Nachdenken über ein neues Ziel unterstützen. Doch weder die Entscheidungen darüber noch die Anstrengungen auf dem Weg zum Ziel dürfen Sie ihm nehmen. Nur wenn Ihr Kind aus eigener Kraft, ein eigenes Ziel erreicht, kann es diesen Erfolg auch voll für sich verbuchen. Nur so kann Ihr Kind sein Selbstwertgefühl stärken und ausreichend Zuversicht tanken, um auch zukünftige Misserfolge erfolgreich zu bewältigen.