Identitätssuche in der Pubertät: Warum es jetzt so wichtig ist, authentisch zu sein

Viele Auseinandersetzungen zwischen Eltern und ihren pubertierenden Kindern basieren auf tiefer liegenden Beziehungskonflikten. Wer sich im Umgang mit Jugendlichen authentisch verhält, kann besser mit ihm in Kontakt treten. Lesen Sie hier, warum es für Jugendliche so wichtig ist, ein authentisches Gegenüber zu haben, und wie Sie an Ihrer Authentizität arbeiten können. 

Inhaltsverzeichnis

Authentizität zeigen

Der Begriff der Authentizität ist in den letzten Jahren zu einem Modewort avanciert, gilt sie doch seit einiger Zeit als Schlüssel zu einer gelungenen Erziehung. Dennoch kursieren sehr viele Missverständnisse um dieses große Wort. Authentisch sein bedeutet so viel wie unverstellt, echt und glaubwürdig zu handeln. Das heißt, dass das, was der Mensch denkt und fühlt, und das, was er tut, miteinander in Einklang stehen und daher von anderen als Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit erlebt werden.

Sie kennen das: Ein Vater, der sich zu Hause nie um seine Kinder kümmert, aber ein teures Buch über Kindererziehung schreibt, ist weniger glaubwürdig als jemand, der eine schwere Krankheit durchgemacht hat und nun anderen Betroffenen hilft. Wir vertrauen eher jemandem, der überzeugend und glaubwürdig ist, als jemandem, der künstlich oder „aufgesetzt“ wirkt und das, was er „predigt“, selber gar nicht lebt. Wer Bescheidenheit von anderen einfordert, selbst aber ein reiches und verschwenderisches Leben führt, wird als Heuchler erlebt.

Authentisch zu  sein heißt also auch, die eigene Haltung glaubwürdig zu leben und zu vertreten. Haltung und Handeln eines authentischen Menschen stimmen in vielen Lebensbereichen überein. Deswegen werden als authentisch erlebte Menschen auch gerne als Vorbilder gesehen.

5 Missverständnisse: Was „authentisch sein“ nicht bedeutet

Entgegen weit verbreiteter Missverständnisse bedeutet „authentisch sein“ hingegen nicht:

  1. Immer einfach spontan und unreflektiert „aus dem Bauch heraus“ zu agieren. Zu oft ist unsere Intuition von Konventionen und eigenen Erfahrungen überlagert, die wir in unserer Kindheit gemacht haben.
  2. Immer alles unreflektiert so weiter zu machen wie bisher. Auch hier sind es oft Konventionen oder Trotzreaktionen, die unser Verhalten unbewusst steuern. So wollen Eltern es oft besser machen als ihre eigenen Eltern und agieren manchmal aus diesem  unbewussten Anti-Programm heraus an den tatschlichen Bedürfnissen der eigenen Kinder vorbei.
  1. Einfach zu sagen: „So bin ich halt nun mal, basta!“ Diese Haltung ist eher Ausdruck von Bequemlichkeit und Sturheit als von Authentizität. Der authentische Mensch steht zu seinen Gefühlen, geht aber auch immer mal wieder in sich, um seine Gefühle wahrzunehmen und zu reflektieren.
  2. Jemandem ständig völlig unzensiert die eigene Meinung um die Ohren schleudern zu dürfen. Oder Kinder bzw. andere Nahestehende ungefiltert mit den eigenen Gefühlen „zuzuschütten“ und immerzu Verständnis zu erwarten. Auch das hat eher etwas mit Rücksichtslosigkeit zu tun als mit Authentizität.
  3. Immer stark, souverän und klar sein zu müssen. Auch Menschen, die unsicher oder verwirrt sind, können authentisch sein: indem Sie das einfach zum Ausdruck bringen. Es ist besser, einem Kind gegenüber zu sagen „Ich weiß für dieses Problem im Moment auch keine Lösung“, als irgendetwas zu entscheiden, wovon man selbst nicht überzeugt ist. Eltern sind nicht allwissend, und das müssen Kinder und Jugendliche wissen dürfen.

Die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung steigt mit dem Grad der Authentizität

Weil authentische Menschen anderen Menschen ein klar abgegrenztes Gegenüber sein können, sind sie für Jugendliche die idealen Sparringspartner. Da Teenager selbst noch unsicher und auf der Suche nach sich selbst sind, brauchen sie jemanden, der ihnen für ihre weitere Entwicklung als Vorbild („So geht es, authentisch zu sein“) und als klar konturiertes Gegenüber („Ich bin ich, und du bist jemand anderes“) zur Verfügung steht. Wenn ein Teenager ein authentisches Gegenüber hat, kann er 

  • sich selbst und seine Grenzen besser spüren,
  • sich leichter ablösen und
  • seine Persönlichkeit besser entwickeln.

Authentische Menschen gelten als starke und überzeugende Individuen – interessanterweise selbst dann, wenn sie sich selbst nicht als solche erleben. Authentisch zu sein hat also auch viel mit einer tiefen Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sich selbst sowie anderen gegenüber zu tun.

Mein Tipp:
Überlegen Sie mal, ob Sie in Ihrer Jugend ein Vorbild oder ein Idol hatten? Wer war das, und was hat diesen Menschen oder diese Figur so besonders gemacht? Wofür stand dieser Mensch/diese Figur? Was hatte das mit Authentizität zu tun? Hat Ihr Kind ein Vorbild?



Warum Teenager authentische Eltern brauchen

Teenager fordern uns als Eltern besonders heraus. Sie entwickeln ihre eigenen Werte und Vorstellungen und sind nicht mehr bereit, unsere Meinungen und Ansichten kritiklos zu teilen. Außerdem lassen sie sich nichts mehr vormachen. Waren sie als Kinder noch eher geneigt, alles zu glauben, was wir ihnen als ultimative „Wahrheit“ präsentiert hatten („Das macht man so!“), so müssen sich Teenager-Eltern darauf gefasst machen, ständig hinterfragt zu werden. Jugendliche spiegeln uns manchmal gnadenlos unsere eigene Unsicherheit, Inkonsequenz oder Widersprüchlichkeit. Sie erspüren auch sehr deutlich Doppelbotschaften, z. B.

  • wenn ein Elternteil so tut, als sei es ruhig und geduldig, in Wirklichkeit aber stinksauer ist,
  • wenn ein Elternteil sagt: „Ich will doch nur dein Bestes“, in Wirklichkeit aber meint: „Ich will, dass du meine Erwartungen erfüllst und mich stolz machst!“,
  • wenn ein Elternteil sagt: „Ich bin immer für dich da!“, sich aber innerlich zurückzieht, wenn es um heikle oder schwierige Fragen geht, usw.

Auch jüngere Kinder erspüren Doppelbotschaften, sie können diese aber noch nicht konkret benennen. Jugendliche können das aber manchmal und äußern das dann auch: „Jaja, mir erzählt ihr immer, dass man nicht über andere lästern soll, aber ihr zieht ja selbst über andere her!“ So konfrontieren Jugendliche uns oft mit unangenehmen Wahrheiten über uns selbst. Sie spiegeln recht unverhohlen unsere nicht so angenehmen Eigenschaften und machen uns auf Verhaltensweisen aufmerksam, auf die wir selbst nicht unbedingt stolz sind. Das macht Eltern manchmal wütend, weil sie sich abgelehnt oder schlecht gemacht fühlen. Dabei machen Jugendliche das in der Regel nicht, um uns bloßzustellen oder weil sie uns schlecht machen wollen. Sie tun es vielmehr,

  • weil es ihnen hilft, ein komplexeres Bild von uns sowie von der Welt zu entwickeln und so zu einer eigenen Position finden zu können;
  • um sich besser von uns abgrenzen und ablösen zu können. Sie hören langsam auf, uns als Eltern zu idealisieren, und sehen uns realistischer. Und das ist ein wichtiger Schritt für sie, um selbstständig zu werden.

Es ist für Eltern manchmal ein schmerzlicher Prozess, dermaßen vom Sockel gestoßen zu werden. Doch auch Eltern können davon profitieren: Denn die Beziehung zu den Kindern wird auf die Dauer ebenbürtiger, man begegnet sich immer mehr auf „Augenhöhe“. Eltern wachsen so langsam aus ihrer Vorbildfunktion heraus, was auch entlastend sein kann. Souveräne Eltern, die über genügend Selbstbewusstsein verfügen, haben mit dieser Veränderung meistens wenige Probleme.