Lümmeln, chillen, gar nix tun: Warum Langeweile in der Pubertät normal ist

Die Langeweile hat bei uns keinen guten Ruf. Dabei ist es durchaus eine Fähigkeit, einfach mal gar nichts zu tun und nur so „herum zulümmeln“. Außerdem fördert Langeweile die Kreativität und gehört zu manchen Reifungsschritten des Menschen dazu. Lesen Sie hier, warum Langeweile sinnvoll ist und wie Sie mit dem „Nichtstun“ Ihres Teenagers am besten umgehen. 

Inhaltsverzeichnis

Erziehungstipps

Langeweile zu haben ist heutzutage „out“. Allzu schnell assoziieren wir mit Langeweile Bequemlichkeit, Faulheit oder Stillstand. Wer sich langweilt, ist angeblich selbst schuld, denn er könnte sich ja einer interessanten Tätigkeit widmen, etwas Sinnvolles tun oder sich nützlich machen. Wer sich langweilt, ist selbst langweilig und desinteressiert, er hat womöglich keinen Lebensmut und kann das Schöne des Lebens nicht erkennen. So lauten zumindest die gängigen Meinungen.

Das alles stimmt natürlich so nicht. Langeweile aushalten und damit konstruktiv umgehen zu können, ist eine wichtige Fähigkeit, die heutzutage zu selten gepflegt wird. Es wird auch oft übersehen, dass viele Menschen so hektisch und aktionistisch durch ihr Leben hetzen, um eventuell aufkommende Gefühle von Langeweile im Vorfeld zu unterdrücken. Viele „Workoholics“ arbeiten so viel, weil sie vor der inneren Leere oder anderen unangenehmen Gefühlen fliehen – hätten sie freie Zeit und Langeweile, würden diese vermutlich hochkommen. Um das zu vermeiden, müssen sie sich dann permanent ablenken und sich ständig irgendwelchen äußeren Reizen aussetzen.

Keine Angst vor Langeweile: Warum Kinder und Jugendliche auch mal „abhängen“ müssen

Teenager brauchen im Alltag dringend Auszeiten, in denen sie ihren Gefühlen und Stimmungen nachhängen oder einfach mal gar nichts tun. Wenn Kinder oder Jugendliche sich langweilen, sind Eltern jedoch oft schnell mit Ratschlägen zur Stelle: „Hör doch ein bisschen Musik!“, „Schau doch einen Film!“ oder „Räum halt mal auf, jetzt hast du doch Zeit dazu!“ So oder so ähnlich lauten oft die Tipps von Erwachsenen oder Freunden. Tatsächlich ist es in unserer hektischen, modernen Welt weitaus leichter, sich mittels Unterhaltungselektronik berieseln zu lassen, als sich einmal auf sich selbst zu besinnen. Denn nichts anderes ist Langeweile: der Versuch der Psyche, eine Pause zu nehmen von äußerlichen Reizen und zur Selbstbesinnung zu kommen. Weil Erwachsene aber oft selbst nicht in der Lage sind, Langeweile auszuhalten, sind sie dann auch geneigt, die Gefühle von Langeweile bei anderen „wegmachen zu wollen“. Doch warum eigentlich? Was ist das vermeintlich Bedrohliche an Langeweile?

Mein Tipp
Haben Sie kein schlechtes Gewissen, wenn Ihr Kind unter Langeweile leidet. Manche Mütter haben dann die Befürchtung, dass sie ihrem Kind nicht genug bieten. Das eine hat mit dem anderen aber nichts zu tun. Denn Langeweile zu haben und damit umzugehen ist ein innerer Prozess, der durch Aktivismus zwar übertüncht wird, dann allerdings nicht wirklich bearbeitet werden kann. Schuldgefühle sind hier – wie fast immer in der Erziehung – unangemessen und manchmal sogar schädlich.

Powerkids: Zu viel Stress kann in gefühlte Langeweile umschlagen

Langeweile kann übrigens auch einer allgemeinen Überforderungssituation entspringen: Wenn ein Kind einen straff durchorganisierten Alltag hat und es gewohnt ist, von einem Termin zum anderen zu hetzen, kann sich plötzlicher Leerlauf sehr öde und trist anfühlen. Das ist dann ein sicheres Zeichen dafür, dass es über zu wenig selbstbestimmte Zeit verfügt, sich vielmehr fremdbestimmt und überfordert fühlt. Ein solches Kind ist bereits Burnout-gefährdet. Ebenso wie ein Topmanager, der vor lauter Stress gar nicht mehr zum Durchatmen kommt, wird ein so gestresstes Kind irgendwann erschöpft und ausgebrannt sein. Sollte Ihr Kind auch viele Termine haben, sorgen Sie unbedingt dafür, dass es genug freie Zeit zum „Abhängen“ hat. Die Seele braucht das, um wieder aufzutanken. Auch permanente Reizüberflutung kann zu Gefühlen von Überdruss und Langeweile führen. Besonders Kinder, die sehr sensibel sind, fühlen sich von zu vielen Spielangeboten „erschlagen“ und ziehen sich dann zurück. Im Grunde genommen ist dies eine gesunde Reaktion, um sich vor einer Überreizung der Sinne zu schützen.

So entsteht Langeweile bei Teenagern: Die Sinnkrise als Reifungsschritt in der Pubertät

Langeweile entsteht, wenn Altes vorbei, Neues aber noch nicht da ist

Das Gefühl von Langeweile entsteht auch häufig in Umbruchphasen wie etwa der Pubertät. Das Kind ist kein wirkliches Kind mehr: Alles, was es bisher interessant fand und woran es Spaß hatte, ist nun weniger spannend geworden. Allerdings ist vielleicht auch noch kein neues Interesse erwacht: Das Alte gilt in gewohnter Form nicht mehr, etwas Neues muss sich erst noch entwickeln. In diesem gefühlten Zwischenraum entsteht manchmal das Gefühl von Leere und Langeweile.

Was tun?

Wenn Ihr 12-Jähriger also auf dem Bett herumhängt und nicht so genau weiß, was er nun mit sich und seiner Zeit anfangen soll, dann müssen Sie sich nicht gleich Sorgen machen. Vielmehr ist das ein Zeichen von einem anstehenden Reifungsprozess.

Langeweile entsteht, wenn der Jugendliche unter einer (vorübergehenden) Sinnkrise leidet

Des Weiteren leiden Jugendliche manchmal auch unter einer Art Sinnkrise. Soll heißen: Sie wachsen aus ihrem kindlichen Selbstverständnis heraus und stellen vieles, was ihnen bislang als selbstverständlich erschien, in Frage. „Warum bin ich auf der Welt?“, „Was ist der Sinn des Lebens?“, „Gibt es Gott eigentlich?“, „Was ist mir wichtig im Leben?“, „Will ich mal so leben wie meine Eltern oder alles ganz anders machen?“: All diese schwierigen Fragen drängen sich dem Jugendlichen nun förmlich auf. Und das ist wichtig und gut so. Denn die Auseinandersetzung damit dient letztlich seiner Persönlichkeitsentwicklung. Wenn Jugendliche sich gerade besonders intensiv mit solchen tiefsinnigen Fragen beschäftigen und in eine Art „Sinnkrise“ fallen, kann sich das wie „Langeweile“ oder „innere Ödnis“ anfühlen. Die Ursache dieser Langeweile wäre dann ein vorübergehend unerfülltes Bedürfnis nach Sinn im eigenen Leben.

Was tun?

Auch in diesem Fall müssen Sie sich keine Sorgen machen: Ihr Kind muss da jetzt durch. Vielleicht helfen interessante Gespräche. Aber auch Ihr Verständnis, Ihre Geduld und Ihre Souveränität sind jetzt gefragt.

5 Tipps: Das können Sie tun, wenn Ihr Kind häufig unter Langeweile leidet:

1. Akzeptieren Sie es, wenn Ihr Kind sich ab und zu in seinem Leben langweilt. Nehmen Sie das als seine aktuelle Befindlichkeit zur Kenntnis und bewerten Sie es nicht. Versuchen Sie nicht, ihm dieses Gefühl „wegzumachen“ oder auszureden, und widerstehen Sie öfter mal der Versuchung, Ihr Kind abzulenken. Machen Sie sich klar, dass es daran reifen wird!

2. Kommen Sie ins Gespräch über die Langeweile und das Nichtstun. Statt sich über seine (vermeintliche?) Faulheit zu ärgern, lassen Sie sich von seiner Langeweile erzählen: „Wie fühlt sich das an?“, „Hast du das öfter?“, „Wie geht es dir damit?“, „Was ist schön daran?“ usw. Dann können Sie sehen, ob Ihr Kind gut allein zurechtkommt oder ob es Hilfe braucht.

3. Machen Sie sich immer wieder klar, welche wichtigen Funktionen Langeweile erfüllen kann (siehe oben).

4. Haben Sie Geduld mit Ihrem Kind. Und haben Sie Vertrauen, dass Ihr Kind mit liebevoller Unterstützung auch wieder aus dem Langeweile-Modus herauskommen wird. Vorwürfe sind hier fehl am Platz.

5. Üben Sie sich in Selbstreflexion. Macht Sie die Faulheit bzw. das „Herumgammeln“ Ihres Kindes wütend, weil Sie sich selbst zu selten eine Auszeit gönnen? Fühlen Sie sich provoziert? Oder machen Sie sich Sorgen, weil Sie selber wissen, wie unangenehm es sein kann, sich zutiefst zu langweilen? Kann es sein, dass Ihr Kind das ganz anders erlebt als Sie? Je besser Sie selbst mit Ihren eigenen Gefühlen von Langeweile umgehen können, desto leichter wird Ihnen auch der Umgang mit der Langeweile Ihres Kindes fallen.

Langeweile: Wie viel ist noch normal?

Die Grenze zwischen normaler und „pathologischer“ Langeweile ist fließend und besonders in der Pubertät nicht immer leicht zu ziehen. Immerhin gilt die gesamte Pubertät als Krisenphase. Manche Teenager hängen da mehr, manche eben weniger durch. Wahrscheinlich können Sie als Mutter oder Vater ganz gut einschätzen, wie es Ihrem Kind momentan geht. Wenn Sie sich nicht sicher sind, dann sprechen Sie Ihr Kind ganz offen an und fragen Sie es: „Wie geht es dir momentan?“, „Woran hast du Freude?“, „Was beschäftigt dich zurzeit?“ Wenn Sie ganz konkret die Befürchtung haben, dass es ihm schlecht geht, formulieren Sie das auch so: „Ich habe den Eindruck, dass es dir momentan nicht so gut geht. Kann das sein? Was liegt dir denn auf der Seele?“ Häufig merken Sie dann schnell, ob Ihr Kind gerade Liebeskummer hat, sich in seinem Körper nicht wohl fühlt oder ganz allgemeinen diffusen „Weltschmerz“ hat. Das alles ist in der Pubertät normal. Begleiten Sie Ihr Kind dann liebevoll durch diese Phase, indem Sie es manchmal in den Arm nehmen, aufmerksam sind und Mitgefühl zeigen. Reden Sie auch von Ihren eigenen Erfahrungen mit den Gefühlen von Langeweile, Sinnlosigkeit etc. Das kann hilfreich sein, weil Ihr Kind dann merkt, dass solche Gefühle weit verbreitet sind und auch wieder in den Hintergrund treten oder sogar verschwinden. Wichtig ist immer, dass Ihr Kind diese Gefühle haben darf!

Sie sollten allerdings rasch professionelle psychologische Hilfe aufsuchen, wenn Ihr Kind

1. über mehrere Tage oder Wochen emotionslos bzw. apathisch wirkt;

2. über einen längeren Zeitraum ohne erklärbaren Auslöser unglücklich oder gar verzweifelt zu sein scheint;

3. den Kontakt zu Freunden abbricht und über einen längeren Zeitraum hinweg nicht mehr aus dem Haus gehen möchte;

4. über mehrere Wochen hinweg morgens nicht aus dem Bett kommt und auch sonst unter starker Antriebslosigkeit leidet;

5. ganz plötzlich die Freude an allen Aktivitäten verliert, die ihm vorher Spaß bereitet haben, und es sich aus dem gesamten Familienleben herauszieht. Zu empfehlen ist in diesem Fall eine Familienberatung oder ein Besuch beim Kinder- und Jugendtherapeuten Ihrer Wahl.

Mein Tipp
Regen Sie Ihr Kind doch mal an, seine Gedanken über die Langeweile aufzuschreiben. Einfach so herunterzuschreiben, was einen bewegt und was einem durch den Kopf geht, regt zur Klärung an: Was beschäftigt mich gerade, was verbirgt sich hinter meiner Langeweile, was sind meine Bedürfnisse? Das kann sehr erkenntnisreich und inspirierend sein.